Palmen, Wolken und ein Mädchen
Im »Kindl« sind Fotografien von Shirana Shahbazi zu sehen
Dokumentarisch im engeren Sinne ist sie nicht, und doch zeigt sie Ausschnitte der äußeren Welt: die Fotografie der deutsch-iranischen Künstlerin Shirana Shahbazi. Das im Gebäude der ehemaligen Kindl-Brauerei in Neukölln eingerichtete Zentrum für zeitgenössische Kunst widmet ihr eine große Einzelausstellung. »First Things First« - der Titel spielt wohl auf die Dringlichkeit ihrer scheinbar zufälligen, tatsächlich jedoch schwer geordneten Motive an. Denn wer könnte ahnen, dass so profane Dinge wie Palmblätter oder ein zerschlissener Sessel zu den wichtigsten Dingen gehören?
Zu sehen sind Arbeiten aus sehr unterschiedlichen Werkgruppen der letzten zehn Jahre, farbige Bearbeitungen von Porträts, Landschaftsaufnahmen und Großstadtszenen. Die meisten stammen von einer Reise, die Shahbazi 2014 mit dem Auto von Zürich nach Teheran unternommen hatte. Die Aufnahmen hat sie mit einer einfachen Handykamera gemacht. Die wichtigsten Dinge ergeben in ihrer Summe also die Eindrücke einer Reise.
Man sieht Palmen, Wolken und ein Mädchen in einem blauen Kleid, das in einem Wasserbecken steht. Mehr noch als an Reisefotografie denkt man beim Betrachten der Bilder an Film-Stills. Das liegt nicht zuletzt an der seltsamen, stark reduzierten Farbigkeit, die Shahbazi durch den Lithografiedruck erreicht. Sie verwendet dabei lediglich zwei Farben, die sich vermischen und so miteinander ein etwas größeres Farbspektrum ergeben. Die Fotografien werden dadurch emblematisch und erinnern an Siebdrucke der amerikanischen Pop-Art. Tatsächlich hängen in der Ausstellung zwei unterschiedlich farbige Drucke einer Wolke, die auf diese Weise nicht einmal mehr mit sich selbst identisch ist.
Shirana Shahbazi ist 2006 auf der vierten Ausgabe der Berlin Biennale mit ihrer Arbeit »Goftare Nik/Good Words« aufgefallen. Zu sehen waren verschiedene Motive, die sie im Iran, wo sie 1974 geboren wurde, aufgenommen hatte. Durch die Art, in der sie diese kombinierte, entstanden neue seltsame Geschichten, die man mit dem religiös verfassten Land so nicht verbinden würde. Nach der Aufmerksamkeit, die ihr für diese Arbeit zuteil wurde, begann sie sich mit abstrakten Formen zu beschäftigen - auch um der thematischen Ecke zu entkommen. Mit elf Jahren kam Shahbazi nach Berlin. Seit dem Beginn ihres Studiums 1997 lebt sie in Zürich.
Eine zweite Serie von Arbeiten, die im »Kindl« gezeigt werden, zeigen deutlich arrangierte Gegenstände wie Lippenstifte oder Kaffeetassen. Auf den ersten Blick scheinen diese ihre Gegenständlichkeit, ihre Zugehörigkeit zur realen Welt zu verlieren. Sie lösen sich auf und wirken wie ein Spiel abstrakter Formen. Diese Fotos haben eine ganz andere Produktionsästhetik, sie sind auf Aluminium gedruckt und setzen sich aus nahezu monochromen, glatten Flächen zusammen. Gerade hier ist man sich zunächst gar nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Fotografie handelt oder nicht doch um Grafik oder Malerei.
Einer dieser Gegenstände ist ein blauer Vorhang, rechts unten eingerückt im Bildausschnitt. Die linke Hälfte hängt durch und fällt in der Form eines großen V. Links und oben bleibt als eine Art Rahmen die weiße Wand. Auch wenn solch ein lose hängender Vorhang eine Geschichte andeutet und zugleich die Kriterien eines romantischsten Realismus erfüllt, ist der Eindruck, es handele sich um eine grafischen Abstraktion, doch sehr stark. Neben der Bildzerteilung in Rahmen und Rechteckformen spielt die reduzierte Farbigkeit hierbei eine wichtige Rolle.
Ähnlich wie bei ihrer Iranarbeit wirken auch die neueren Serien durch ihr Verhältnis zueinander im Raum. So etwa bei der Gegenüberstellung eines in zwei Farben gedruckten Fotos mehrerer Palmengipfel und einer ein wenig kristallinen Farbkomposition. Shahbazi legt hier durch die formale Ähnlichkeit beider Motive etwas offen, was man erst im zweiten Moment, wenn sich die Irritation gelegt hat, versteht: die Produktionsweise. Bedingung jeder Fotografie sind Licht und die Zusammensetzung von Farben.
Shahbazi gehört damit zu einer ganzen Gruppe internationaler Fotografinnen und Fotografen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise heute mit den Bedingungen ihrer Kunst auseinandersetzen. Shahbazi selbst tut es in ihrer Berliner Ausstellung in einem Fall auf eine besonders radikale Weise, indem sie die Mischung der Grundfarben auf dem Fotopapier an der Wand den farbigen Strahlern im Raum überlässt.
»Shirana Shahbazi: First Things First«, bis zum 6. August im Kindl - Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, Neukölln
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