Auf den Straßen von Alexandria
Martin Leidenfrost über den Erfolg des rumänischen Sozialdemokraten-Chefs Dragnea in einer korrupten Politlandschaft
Ich will die Beliebtheit von Liviu Dragnea verstehen. Inmitten eines Krieges gegen die Korruption, der eine Tausendschaft Mächtiger vor Gericht gezerrt hat, hat der Chef der rumänischen Sozialdemokraten PSD beinahe die absolute Mehrheit geholt. Gleich nach der Wahl setzte der wegen Wahlmanipulation vorbestrafte Dragnea den Eilerlass OUG-13 durch. Er sah vor, Amtsmissbrauch unter einer Schadenssumme von 200 000 Lei straffrei zu stellen. Dragnea stand nämlich vor einem weiteren Schuldspruch, für eine kleine Korruption in seinem Bezirk Teleorman, 100 000 Lei, 22 000 Euro. Die Unverfrorenheit von OUG-13 - »wie Diebe in der Nacht« - löste die rumänische Februarrevolution 2017 aus. Nachdem sie der Wahl im Dezember 2016 ferngeblieben waren, gingen in Bukarest und Siebenbürgen Hunderttausende auf die Straße.
Teleorman liegt in der Walachei, nördlich der Donau. Von 380 000 Einwohnern sind 55 000 berufstätig und 100 000 Rentner. Teleorman ist der Bezirk mit den niedrigsten Löhnen. Liviu Dragnea hat den Bezirk von 1996 bis 2012 regiert, seine nationalpaternalistisch gebürstete PSD bekam hier zuletzt 62 Prozent. Ich komme von Westen, exakt ab der Teleorman-Tafel wird die Straße edel. Ich fahre in die Hauptstadt Alexandria. Ihr Stadtplaner hieß Ceausescu. Ich suche ein Buch über Teleorman, es gibt kein einziges zu kaufen.
Ich betrete die Bezirksbücherei mit einem blöden Spruch: »Ist das die berühmte Bibliothek von Alexandria?« Ich sage gleich dazu, dass ich das Phänomen Dragnea verstehen will. Eine reife hagere Bibliothekarin lächelt dünn: »Reden Sie mit den Rentnern, die den ganzen Tag in der Fußgängerzone sitzen! Dann werden Sie verstehen.« Sie zeigt mir, was sie über Teleorman hat, eine zerfledderte Monografie aus dem Jahre 1998. Ich erfahre daraus, dass im 19. Jahrhundert Bauern mit zwei Rindern die größte Kategorie bildeten.
Ich suche die neu ins rumänische Parlament eingezogene Antikorruptionspartei USR. Sie ist umgezogen, aber die hübsche Bezirkssekretärin der korrupt-liberalen Regierungspartei ALDE langweilt sich und führt mich hin. »Ich bin unpolitisch«, sagt sie, »mache nebenbei die Ausbildung zur Kosmetikerin.« - »Ist das besser bezahlt als Politik?« - »Ja. Wenn mein Englisch gut genug ist, gehe ich weg und mache einen Schönheitssalon in Kalkutta auf.« Zwar war sie noch nie in Indien, ich lobe ihren Businessplan dennoch. Dann sitze ich im Restaurant von USR-Bezirkschef Nicuşor Lină. Monate nach den Bukarester Massendemos hat er noch Stimmprobleme, »von den Minusgraden«. Die USR-Kampagne in den walachischen Dörfern war schwer, er wurde als Soros-Mann beschimpft, »Soros kauft ganze Länder, ihr wollt uns verkaufen.« Lină glaubt, die PSD werde »aus Angst und aus Gewohnheit« gewählt. Ich wende ein, was Dragnea in Teleorman zugutegehalten wird: »Immerhin hat er Straßen gebaut.« - »Und wozu?« - »Hm, zum Spazierenfahren.« - »Um Mais spazieren zu fahren?«
Ich schaue mir Dragneas eingezäunte Villa an. Ich kenne seinen Garten aus dem Gartenträumvideo »Mit dem Kopf in den Wolken«, das ein X-Faktor-Barde mit seiner Tochter Alexandra gedreht hat. Im Video wirkt alles größer. Der Herrenfriseur findet Dragnea »in Ordnung, er hat Straßen gebaut, Arbeitsplätze hat er keine geschaffen«. Nicht wenige in Alexandria schimpfen auf den »roten Baron« Dragnea. Einer behauptet, die Baufirma TelDrum, die in guten Jahren 100 Millionen Euro im Straßenbau umsetzt, gehöre dem Sozialdemokraten: »Pirelli wollte ein Werk bauen, Dragnea will aber keine Investoren hier. Er würde seine Mitarbeiter verlieren oder müsste ihnen mehr zahlen.« Nach einer Tirade gegen Dragnea gesteht der Chef der Taxi-Innung: »Ich habe ein Parteibuch der PSD. So verhandelt es sich leichter mit den Bezirksbehörden.«
Ich gehe an den Ursprung der Causa, zum Jugendamt. Dragneas damalige Frau Bombonica stellte im Jugendamt zwei Frauen an, die in Wirklichkeit für die Partei arbeiteten. Vor dem Jugendamt sitzt ein junger Gemüsebauer, die Erde unter seinen Fingernägeln beweist es. Von zwei Hektar kann er gut leben, sagt er. Er hat PSD gewählt, »die tun viel, auch unser Dorf ist jetzt asphaltiert.« Von der rumänienweit berühmten Causa dieses Jugendamts habe er nie gehört, behauptet er. Er sitzt hier, weil seine Freundin ein Kind von einem anderen hat und die Familie das Sorgerecht anficht. »Aber ich glaube, das wird gelöst.« Da kommt seine Freundin auch schon heraus, gelöst.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.