Muslime sollen draußen bleiben

In Polen nehmen die Furcht vor Terror und antiislamische Tendenzen weiter zu

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wo steuerst du hin, Europa? Wach endlich aus deiner Lethargie auf, sonst wirst du bald jeden Tag um deine Kinder weinen!«, rief Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo im Sejm, zwei Tage nach dem von einem mutmaßlichen Islamisten verübten Terroranschlag in Manchester. Für die nationalkonservative Regierung ist jeder Terrorakt in Westeuropa ein weiterer Grund, um jegliche »in Brüssel angeordnete Zwangsquoten« abzulehnen.

»Merken wir uns dieses Datum: Am 24. Mai hat Szydlo den Polexit eingeleitet«, schreibt dagegen Michal Danielewski in der Tageszeitung »Gazeta Wyborcza«. Auch diese Reaktion ist stark übertrieben. In der Tat ist die Flüchtlingskrise seit dem Regierungswechsel im Herbst 2015 eines der zentralen Streitthemen zwischen Brüssel und Warschau. Die meisten EU-Politiker vertreten die Ansicht, dass sich alle Mitgliedstaaten an dem Relocation-Verfahren beteiligen sollten. Länder wie Polen und Ungarn tanzen jedoch konsequent aus der Reihe. Zwar hat sich die vormals regierende liberal-konservative Bürgerplattform (PO) kurz vor ihrer Wahlniederlage dazu verpflichtet, 7500 Flüchtlinge aufzunehmen, jedoch will die aktuelle Regierung nichts davon wissen. »Polen ist offen für diejenigen, die wirklich zu uns wollen und hier leben möchten. Eine Lösung, nach der jemand unter Zwang nach Polen gebracht und hier festgehalten wird, halte ich aber nicht nur für unangebracht, sondern schlicht für eine Menschenrechtsverletzung«, sagte Staatspräsident Andrzej Duda Mitte Mai.

Vergießen PiS-Politiker hier nur Krokodilstränen? Tatsächlich haben polnische Behörden oft die Erfahrung machen müssen, dass zum Beispiel tschetschenische Einwanderer Polen allenfalls als Transitland auf ihrer Wanderung nach Westeuropa betrachteten. Ungefähr 1000 syrische Christen, die das osteuropäische EU-Land 2015 aufgenommen hat, sind inzwischen Richtung Deutschland und Skandinavien gezogen. Die PiS-Regierung versucht den Balanceakt zwischen Abschottung gegenüber der Migrationspolitik der EU und östlicher Offenheit, indem sie zeitgleich die Gewährung von 1,3 Millionen Visa für Ukrainer und Belarussen im Jahr 2016 hervorhebt. »Polen will dabei helfen, humanitäre Krisen im Ursprungsland zu bekämpfen, wir müssen jedoch auch unsere Grenzen schützen. Viele aus dem Osten haben sich bereits gut bei uns integriert, aber wir lassen nicht zu, dass sich unser Land mit der westeuropäischen Epidemie des islamistischen Terrors infiziert«, meint Polens Innenminister Mariusz Blaszczak - und spricht vielen Landsleuten aus der Seele.

Nach der neuesten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos wollen 70 Prozent der Polen keine Flüchtlinge muslimischen Glaubens aufnehmen. Nach dem Anschlag in der Manchester-Arena, bei dem auch ein polnisches Ehepaar starb, haben sich an der Weichsel antiislamische Tendenzen verstärkt. Die dürften nach dem neuen Anschlag in London weiter wachsen. Auch hat der Tod der 27-jährigen Polin Magdalena Zuk in Ägypten, die vor ihrem Krankenhausaufenthalt vermutlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, für Schlagzeilen gesorgt. Diese islamfeindlichen Stimmungen hat inzwischen sogar die Opposition erkannt. Die mit einer Sinnkrise ringende PO, die einst unter Premierministerin Ewa Kopacz eine »Willkommenskultur« pflegte, vollzog einen Schwenk, indem sie sich die fremdenfeindliche Rhetorik der PiS zu eigen macht.

Während EU-Ratspräsident Donald Tusk sich ob der hartnäckigen Haltung Warschaus bereits zur Androhung von Sanktionen gezwungen fühlt, behauptet sein Nachfolger und heutige PO-Chef Grzegorz Schetyna, seine Partei wollte »zu keinem Zeitpunkt« muslimische Zuwanderer aufnehmen. Abgesehen davon, dass »Kapitän Schetyno« mit dieser 180-Grad-Drehung das seinem Schiff drohende Unheil wohl kaum abwenden wird, bleibt zu fragen: Weshalb haben Polen so viele Bedenken gegenüber Gesellschaften, die vom Islam geprägt sind? Würden sich Muslime in einem zu 90 Prozent katholischen Land überhaupt wohl fühlen? Wenn sich ihre Integration selbst im weltlichen Frankreich als so schwierig erweist, wie sollte sie bei uns erfolgreich gestaltet werden?

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.