Rot-rot-grüne Pendelschläge
Die Diskussion um Regierungsoptionen geht munter weiter
Per Fernäußerung via Interviews führen Politiker von SPD und Linkspartei ihre, nun ja: Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen einer Kooperation auf Bundesebene weiter. Vor allem: über Grenzen. Während Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht erklärte, »es sieht so aus« als ob Rot-Rot-Grün für diesen Herbst tot wäre, warb allerdings Dietmar Bartsch erneut dafür, die Möglichkeit nicht auszuschließen. Der neue SPD-Generalsekretär Hubertus Heil malte derweil Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf das politische Parkett. Im Hintergrund ist von einem Wiederaufleben der aus der Vergangenheit bekannten bundespolitischen Abgrenzungsrituale die Rede, welche nun mehr und mehr auch die landespolitischen Regierungsbündnisse belasten würden.
Bartsch, der Spitzenkandidat seiner Partei und Fraktionschef im Bundestag ist, nannte eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl weiterhin möglich. Seine Äußerungen in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe hinterließen freilich ein wenig den Eindruck einer Rettungsaktion - zuvor hatten sich Politiker aus SPD und Linkspartei eher ablehnend gezeigt. »Wir wollen Regierungsverantwortung übernehmen und einen Politikwechsel einleiten«, sagte Bartsch und verwies auf einen wichtigen Punkt: »Ein Mitte-Links-Bündnis in der zentralen Industriemacht Europas ist essenziell, um ein Scheitern der EU zu verhindern.«
Wagenknecht: Es geht nicht um Eitelkeiten
Zuvor hatte nicht nur Wagenknecht kaum noch Chancen für eine rot-rot-grüne Regierung im Bund gesehen. Auf die Frage, ob Rot-Rot-Grün tot sei, antwortete sie: »Es sieht so aus, aber der Killer wurde nicht von der LINKEN beauftragt.« In dem Gespräch mit dem »Tagesspiegel« begründete sie ihre Skepsis unter anderem mit außenpolitischen Unvereinbarkeiten. »Solange SPD und Grüne Interventionskriege befürworten und die aktuelle Aufrüstung mittragen. Mit Zustimmung der SPD steigen die Rüstungsausgaben in diesem Jahr um acht Prozent.« Zudem hätten die Sozialdemokraten ein »mutloses Wahlprogramm vorgelegt, das selbst hinter ihren Forderungen aus dem Wahlkampf von 2013 zurückbleibt. Wer an Hartz IV, Niedriglöhnen und Armutsrenten nichts ändern will, kann sich allerdings auch das Gerechtigkeitsgerede sparen«, so Wagenknecht. Auf die Frage, ob sie »beleidigt« sei ob des offenkundigen Abrückens der SPD von einer Option Rot-Rot-Grün, sagte sie: »Es geht um Politik und nicht um Eitelkeiten.«
Auf Seiten der SPD bemühte sich der Generalsekretär Heil, bloß nicht den Eindruck zu hinterlassen, Rot-Rot-Grün könne bei den Sozialdemokraten anders eingeschätzt werden als in der Vergangenheit, in der die Partei selbst bei rechnerischen Mehrheiten und um den Preis eigener Politikziele lieber andere Koalitionspartner suchte.
Heil: Sind sie verlässlich?
»Wer mit uns koalieren will, muss sich programmatisch auf uns zubewegen und folgende Fragen beantworten«, sagte Heil der »Welt am Sonntag« und zählte unter anderem auf: »Sind sie ein verlässlicher Partner im Interesse unseres Landes? Stehen sie zur außenpolitischen Verantwortung dieses Landes und sind sie klar proeuropäisch?« Solche Floskeln hatten in der Vergangenheit stets mehr den Charakter von roten Linien als von wirklich offenen Fragen - und sollten die Linkspartei, die Heil zwar nicht direkt ansprach, medienwirksam als unzuverlässig und antieuropäisch markieren.
Bartsch, der sich schon zuvor bemüht hatte, Fragen einer möglichen Koalition nicht zu groß werden zu lassen, und sich eher auf eigene, fortschrittliche Inhalte konzentrieren wollte, erneuerte nun seinen Appell zur Zurückhaltung: »Nach der Wahl werden wir sehen, was geht.« Dass es ohne die Linkspartei auf Bundesebene keinen Politikwechsel geben werde, sei weiterhin gültig, so der Vorpommer. Und er reagierte auch auf Heils implizite Unterstellung, die Linkspartei sei nicht zuverlässig: In mehreren Landtagen habe die Linkspartei Sozialdemokraten zu Ministerpräsidenten gewählt - und: »Wenn es um Zuverlässigkeit ging, war auf meine Partei immer Verlass«, so Bartsch.
Hoff: Rückfall in alte Rollen schadet
Genau dort, in den Ländern, wird der wieder deutlich unterkühltere Ton in den Beziehungen zwischen SPD und Linkspartei auf Bundesebene unterdessen als Problem auch für landespolitische Kooperation angesehen. Die Parteien fielen »in ihre alten Rollen zurück«, so beschreibt es der Thüringer Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff. »Für das Verhältnis von SPD und Linkspartei, die einige angenehme Monate bereit waren, miteinander über gemeinsame Gestaltungspolitik ernsthaft und jenseits der kleinen Zirkel wie Oslo-Gruppe oder dem Institut Solidarische Moderne zu sprechen, bedeutet dies den Rückfall in langjährig vollzogene pathologische Abgrenzungs- und Delegitimierungsrituale.« Hoff, der seit langem zu denen in der Linkspartei gehört, die sich für eine Zusammenarbeit mit der SPD aussprechen, wenn Ziel und Konditionen stimmen, kritisierte rhetorische Ausfälle in der SPD - aber auch die eigenen Reihen. Mancher in der Linkspartei halte »es nicht besser. Die SPD, nicht die Politik der Kanzlerin und der Union wird - entgegen oder zumindest unabhängig von der eigentlichen Wahlstrategie - erneut zum Hauptgegner im Bundestagswahlkampf erklärt«, so Hoff.
Dies wirke nun immer stärker auch auf die Landesregierungen zurück - in Thüringen, Brandenburg und Berlin kooperieren SPD und Linkspartei, teils unter Einschluss der Grünen. »Die drei Länder sind Ausdruck der Fähigkeit, miteinander zu arbeiten. Sie lassen politische Ziele der drei Parteien, also auch der Linkspartei, in den Ländern Realität werden«, resümierte Hoff die dortige Entwicklung.
Anders sei die Lage im Bund, dort habe »keine der drei Parteien« seit den vergangenen Bundestagswahlen die knapp vier Jahre »wirklich ernsthaft genutzt«, um das Ergebnis von 2013 als sozusagen »letzte Warnung« auch strategisch zu verarbeiten. Im Bundestag existiert eine Mandatsmehrheit von Rot-Rot-Grün, die Politik wird aber von Angela Merkel gemacht. Wenn nun das rot-rot-grüne Pendel in Richtung politischer Eiswinter zurückschlage, dürften die Wahlstrategien der Parteien »die Länder nicht zum Gegenstand des Bundestagswahlkampfs machen«. Schon jetzt sei die bundespolitische Debatte eine Belastung für die dortigen Akteure.
Derzeit kein rot-rot-grüner Trialog
Hoffs vorläufige Bilanz fällt ernüchternd aus. »Die SPD geht so aussichtslos auf die Zielgerade wie 2013. Die Grünen sind so offen und damit allseitig angreifbar wie damals. Die Linkspartei ist auf eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene fachlich und strategisch so wenig vorbereitet wie vor vier Jahren.« Dies sei umso bedauerlicher, als dass es eine Reihe von ernsthaften Versuchen - vom Institut Solidarische Moderne über die sogenannte Oslo-Gruppe und bilaterale Kooperationen von Politikern der drei Parteien - gegeben habe.
Doch hier ruht der See derzeit still. Der rot-rot-grüne »Trialog«, ein Debattenort der bisher höchsten Ebene zwischen den drei Parteien, ist seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht mehr aktiv gewesen, vom »Standby-Modus« ist die Rede. Aus den Reihen der SPD wird signalisiert, dass eine Diskussion auch gar nicht mehr gewünscht ist. Die Grünen kämpfen derzeit zudem mit eigenen Problemen.
Der linke Bundestagsabgeordnete Jan Korte hatte sich vor einigen Tagen in der »Tageszeitung« bereits »fassungslos« gezeigt ob der gegenwärtigen Lage - und vor allem die Sozialdemokraten als Verursacher adressiert. »Die SPD muss von Sinnen sein«, sagte der Fraktionsvize, bekräftigte, dass Merkel und die Union der Hauptgegner seien, kündigte aber auch klare Kante gegen die SPD an: »Jetzt gibt es retour.«
Nicht an der SPD abarbeiten
Bündnispartner? Hauptgegner? Das Verhältnis der Linkspartei zur SPD kann nicht einfach sein, das hat etwas mit ihrer Gründungsgeschichte zu tun und mit der Tatsache, dass die Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung auch zu einer Politik beigetragen haben, die zu den zentralen Kritikpunkten der Linkspartei im Wahlkampf zählt. Zugleich ist allen klar, dass politische Veränderungen größerer Reichweite auf absehbare Zeit nur im Bündnis mit der SPD erreicht werden können.
Das schlägt sich auch in der Kommunikationsstrategie der Linkspartei nieder, die Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn unlängst dem Vorstand vorlegte. »Wir kämpfen um jede Verbesserung, jede Korrektur falscher Politik«, heißt es in dem Papier - und weiter: »Wir wollen und werden regieren, wenn wir mit anderen einen grundsätzlichen Politikwechsel durchsetzen können.« Hier findet sich gewissermaßen Bartschs Äußerung wieder. Der Hauptgegner sitzt im Kanzleramt, Kritik an der Politik der SPD bleibt dennoch nötig, aber: »Wir arbeiten uns dennoch nicht an der SPD oder Martin Schulz ab.«
Zugleich wird in dem Papier darauf verwiesen, dass die SPD mit ihrer seit April laufenden »Ausgrenzungsstrategie«, mit der die Linkspartei aus den Landtagen von Schleswig-Holstein und NRW gehalten werden sollte, »das Parteienspektrum links von der Union insgesamt geschwächt« wurde. So würden nicht nur »Hoffnungen auf soziale Gerechtigkeit enttäuscht«. Auf diese Weise dürften die Sozialdemokraten auch noch die in CDU und CSU bereitgehaltene »Angstkampagne gegen ›eine linke Republik‹« mitbefeuern. Das wäre ein Eigentor, wenn man denn wirklich einen Politikwechsel will.
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