Amnesty-Vorsitzender in der Türkei festgenommen
Erdoğan-Regierung führt angebliche Verbindungen zur Gülen-Bewegung als Grund der Festnahme an
Taner Kiliç ist der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in der Türkei. Laut einem Bericht der Organisation wurde der Menschenrechtler am Dienstagmorgen in seinem Haus in der Küstenstadt Izmir festgenommen. Sein Haus sei ebenso durchsucht worden wie das Büro von Amnesty, dass teilte der Generalsekretär der Organisation Salil Shetty mit. Der Vorwurf: Er habe Verbindungen zur Gülen-Bewegung. Im Moment befindet er sich in Polizeigewahrsam im Viertel Yeşilyurt in Izmir.
Seit 2002 arbeitet Taner Kiliç für Amnesty International in der Türkei. Seit 2014 leitet er das Türkei-Büro der Menschenrechtsorganisation. Neben ihm wurden 22 weitere Juristen mit dem gleichen Vorwurf festgenommen.
Immer wieder bezichtigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den in den Vereinigten Staaten lebenden Fethullah Gülen und seine Hizmet-Bewegung hinter dem am 15. und 16. Juli 2016 stattgefundenen Putschversuch vor knapp einem Jahr zu stecken. Gülen hat die Vorwürfe mehrfach zurückgewiesen. Die türkische Regierung geht aber seitdem immer wieder gegen ihre mutmaßlichen Gegner vor. Über 100.000 Menschen wurden seit dem Putschversuch von der türkischen Regierung aus öffentlichen Ämtern entlassen, 50.000 weitere Menschen wurden seitdem verhaftet.
Die türkische Zeitung Hürriyet berichtet, der Anwalt habe einen Nachrichtendienst auf seinem Handy benutzt, von dem staatlichen Verfolgungsbehörden glauben, er sei besonders unter Gülen-Anhängern beliebt. Amnesty warf der türkischen Regierung »Willkür« bei ihren Maßnahmen nach dem Putschversuch vom vergangenen Jahr vor: »In Ermangelung glaubwürdiger und zulässiger Beweise für Verstrickungen in international anerkannte Verbrechen rufen wir die türkischen Behörden auf, Kiliç und die 22 anderen Anwälte sofort freizulassen und alle Vorwürfe gegen sie fallenzulassen«, forderte Amnesty- Generalsekretär Salil Shetty. »Die Tatsache, dass die türkische Säuberungskampagne nach dem Putsch nun auch den Vorsitzenden von Amnesty International in der Türkei in ihren Strudel gezogen hat, zeigt einmal mehr, wie weitreichend und willkürlich diese Kampagne geworden ist.«
Auch deutsche Politiker kritisierten am Mittwochmorgen das Vorgehen der türkischen Regierung. Katja Kipping bezweifelte auf Twitter, wie ein Land, welches den Vorsitzenden von Amnesty International festnimmt, noch ein Partner in der Nato sein könne. Dies verstoße ihrer Auffassung nach gegen den Artikel 1 des Nordatlantikvertrages, der völkerrechtliche Vertrag, der die North Atlantic Treaty Organisation begründete in dem »Friede, Sicherheit und Gerechtigkeit« als Ziele des Bündnisses ausgemacht werden. Der europapolitische Sprecher der Linkspartei Andrej Hunko kritisierte den »Alleinherscher Erdoğan«.
Wie die Behörden weiter mit dem Menschenrechtler Kiliç verfahren, ist noch völlig unklar. Kiliç verteidige seit Jahren »genau jene Freiheiten, welche die türkischen Behörden jetzt zertrampeln«, so bewertet Salil Shetty die Festnahme.
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