R2G: Einblenden und ausblenden
Rot-Rot-Grün in Thüringen zieht auf allen Kanälen Bilanz
Erfurt. Selbst eine eigene Webseite hat r2g geschaffen, um sich selbst zu feiern. Das Bündnis aus LINKER, SPD und Grünen in Thüringen – das, inzwischen bundesweit unter dem Kürzel r2g bekannt ist – will die Deutung über das, was die drei Partner in der ersten Hälfte der laufenden Legislaturperiode im Freistaat geschafft haben, nirgends anderen überlassen. Nicht offline, weshalb es auch eine gedruckte Broschüre zu den selbst-gefühlten rot-rot-grünen Erfolgen gibt. Schon gar nicht in den Medien, weshalb sich die Spitzen der Koalition kürzlich auch Journalisten präsentiert haben. Und eben ganz bestimmt nicht im Internet, wo Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) sein Bündnis doch auch sonst, also täglich und mehrfach, gegen Kritik verteidigt. Twitter sei Dank.
Das, was Rot-Rot-Grün beziehungsweise seine Spitzenvertreter auf all diesen Kanälen über sich selbst sagen, lässt sich auf die eine oder andere Weise in wenigen Worten zusammenfassen. Etwa so: »Wir sind so gut!« Oder: »Wir sind so gut, dass wir auch noch bis zum Ende der Legislaturperiode gemeinsam durchhalten werden, auch wenn uns das keiner zugetraut hätte, als wir im Dezember 2014 die Regierungsgeschäfte im Freistaat übernommen haben.« Oder, in den Worten von Ramelow, niedergeschrieben auf der Halbzeit-Bilanz-Webseite: »Inzwischen wird, was vor Kurzem noch undenkbar schien, das Thüringer Regierungsmodell auch als ernsthafte Option für den Bund diskutiert. Ja, wir können auf das Erreichte ein wenig stolz sein.«
Freilich mag ein bisschen von derlei Eigenlob durchaus einen Bezug zur Thüringer Realität haben. Denn tatsächlich haben LINKE, SPD und Grüne im Freistaat nach zweieinhalb Jahren gemeinsamer Regierungsarbeit mehr geschafft, als ihnen unter anderem die oppositionelle Thüringer CDU zugetraut hat – und sei es nur der Fakt, dass es das Bündnis noch immer gibt, das zuerst mit einer Stimme Mehrheit im Landtag regierte, dessen Mehrheit dann durch den Wechsel eines Ex-AfD-Mannes in die Reihen der SPD auf drei Stimmen anwuchs und inzwischen durch den Wechsel einer Ex-SPD-Frau zur CDU wieder auf eine Stimme zusammengeschmolzen ist.
Jenseits solcher »Hurra-Wir-leben-noch«-Rufe hält sich Rot-Rot-Grün unter anderem zu Gute, den Flüchtlingszuzug im Freistaat bewältigt zu haben, ohne Zelte aufstellen zu müssen; Thüringens Schulden um etwa 380 Millionen Euro reduziert zu haben; hunderte Lehrer und Polizisten – über die genauen Zahlen kann man sich streiten – eingestellt und 18 Millionen Euro zusätzlich für Theater und Orchester zur Verfügung gestellt zu haben. Zudem gilt inzwischen als sicher, dass das letzte Kita-Jahr in Thüringen wegen rot-rot-grüner Entscheidungen ab 2018 für Eltern beitragsfrei sein wird. Alles Dinge, die sich in der Thüringer Realität nicht wirklich bestreiten lassen.
Zu dieser Realität gehört allerdings auch, was die rot-rot-grünen Spitzen in ihrer Halbzeitbilanz gerne ausblenden – so wie andere Regierungskoalitionen das zu solchen Gelegenheiten für gewöhnlich auch tun, was ein Hinweis darauf ist, dass auch r2g in vielerlei Hinsicht doch ein ziemlich »normales« Bündnis ist; dass die, die in r2g ein Heilsversprechen sehen, ebenso falsch mit dieser Einschätzung liegen, wie die, die mit der rot-rot-grünen Machtübernahme das christliche Abendland haben untergehen sehen.
Zum einen nämlich ist die Stimmung in Thüringen längst nicht so euphorisch, wie – jedenfalls öffentlich – bei Ramelow und seinen Mitstreitern. Die Gewerkschaften beispielsweise sind quer durch alle Branchen hindurch ziemlich enttäuscht davon, dass Rot-Rot-Grün nicht noch mehr Lehrer oder Polizisten eingestellt hat und auch am Stellenabbau in der Landesverwaltung festhält, wenn der nun auch langsamer erfolgen soll als bisher geplant. Zudem mögen sich auch die Koalitionspartner hinter verschlossenen Türen längst nicht so gut leiden, wie das ständige Gerede vom Regieren »auf Augenhöhe« suggerieren soll.
Zum anderen blendet die euphorische Halbzeitbilanz von r2g aus, dass das Bündnis ausgerechnet in diesen Tagen vor den wohl schwersten Zeiten seiner bisherigen Arbeit steht – vor allem, weil die Gebietsreform als rot-rot-grünes Kernprojekt am Freitag wahrscheinlich einen empfindlichen Rückschlag wird hinnehmen müssen. Wenn das, was sich bei einer Verhandlung vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof angedeutet hat, wirklich eintreten sollte, dann werden die obersten Richter des Freistaats das Vorschaltgesetz zur Gebietsreform nämlich an diesem Tag zumindest in Teilen für verfassungswidrig erklären – mutmaßlich, weil Rot-Rot-Grün formale Fehler im Gesetzgebungsverfahren gemacht hat. Für die Feiernden wäre das extrem bitter. Weshalb Vertreter der Koalition sowohl online als auch offline schon begonnen haben, die Schuld für diese drohende Niederlage zu delegieren. Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) hat für eventuelle formale Fehler im Gesetzgebungsverfahren schon die Landtagsverwaltung verantwortlich gemacht.
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