Doppelanschlag in Teherans Zentrum
Terroristen attackierten Irans Parlament und das Grabmal von Revolutionsführer Khomeini
Die Anschläge trafen die Islamische Republik mitten ins Herz: Der 1989 gestorbene Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini wird auch heute noch von vielen Iranern verehrt; das Parlament ist, auch wenn seine Machtbefugnisse eingeschränkt sind, eines der Hauptsymbole des Nationalstolzes. Dass es einer bislang unbekannten Zahl von Attentätern gelang, am Mittwochmorgen im Abstand von einer halben Stunde vor dem Grabmal eine Bombe zu zünden, ins Parlament zu stürmen und sich dort mehrere Stunden lang zu verschanzen, hat im Land für Aufruhr gesorgt.
Wer für die Anschläge in Teheran verantwortlich ist, war am Mittwochnachmittag unklar: Während Sprecher von Ajatollah Ali Khamenei und Präsident Hassan Ruhani zur Besonnenheit aufriefen, bekannte sich der Islamische Staat über seinen Propagandakanal Amak zu den Anschlägen. Verifizieren lässt sich das nicht: Anschläge sind bislang ausgesprochen selten und betreffen vor allem die Provinz Sistan-Balutschistan an der Grenze zu Pakistan.
Dort lebt eine große sunnitische Minderheit; in den vergangenen Jahren waren dort zwei miteinander verbündete Gruppen namens Jaisch ul-Adl (Armee der Gerechtigkeit) und Ansar al-Furkan aktiv. Darüber hinaus ist in der Region eine Gruppe namens Dschundollah aktiv, die heute dem Islamischen Staat nahe steht, und zwischen 2005 und 2010 Anschläge in Iran verübte. Nach 2010 trat die Gruppe durch Anschläge in Pakistan in Erscheinung; in Iran erklärte die Regierung Dschundollah für »tot«, nachdem 2009 und 2010 nahezu die gesamte bekannte Führungsriege hingerichtet worden war.
Zuletzt hatte Jaisch ul-Adl, die sich zu Al Qaida bekennt, am 26. April einen Militärkovoi angegriffen und neun Soldaten getötet. Ansar al-Furkan indes war seit 2013 vor allem durch Predigten und politische Schriften aufgefallen; dennoch richtete sich das Augenmerk am Mittwoch in Iran vor allem auf diese Gruppe.
Am Mittwoch gab es in Sistan Massenfestnahmen: Denn das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden hatten in den vergangenen Jahren Saudi-Arabien vorgeworfen, Ansar al-Furkan und dessen Vorgängergruppen Harakat Ansar Iran und Hizbul Furkan finanziell und logistisch zu unterstützen. Dies war am Mittwoch in den iranischen Medien und der Politik Anlass für eine Vielzahl von Theorien, während sich Sicherheitsapparat und Politik zurückhielten: Man müsse erst einmal heraus finden, was passiert sei, die Lage unter Kontrolle halten, sagte ein Sprecher des Geheimdienstministeriums.
Denn Saudi-Arabien ist einer der Erzfeinde Irans; seit Jahren führt man einen kalten Krieg gegeneinander, während Katar recht enge Beziehungen zu Iran pflegt. »Dies ist eine unfassbar gefährliche Situation«, sagt Vizepräsident Eschak Dschahangiri, der dem Reformerlager angehört, und verweist darauf, dass konservative Politiker von Krieg sprachen, während sich die Angreifer noch im Parlament befanden, Berichte über Explosionen in U-Bahn-Stationen die Runde machten: »Wir sollten jetzt erst einmal herausfinden, wer dahinter steckt und dann erst über das richtige Vorgehen nachdenken.«
Ein Sprecher von Präsident Hassan Ruhani erklärte indes, Ruhani sei »sich einig mit Ajatollah Khamenei, dass wir weder eine Beteiligung am diplomatischen Tauziehen um Katar noch eine Eskalation wünschen«. Ruhani hatte Saudi-Arabien noch nach seiner Wiederwahl Mitte Mai eine Rückkehr zu politischer Entspannung angeboten.
Der Abgeordnete Mohammad Reza Aref, bei der Parlamentswahl 2016 Spitzenkandidat der Reformerliste, befand sich zur Zeit der Angriffe im Plenarsaal des Parlaments: »So weit ich weiß, wurde kein Abgeordneter getötet; die Türen wurden sofort geschlossen. Natürlich sind wir alle geschockt: Das ist ein Angriff auf eine der wichtigsten Institutionen unseres Landes. Und es ist auch ein Angriff auf die vielen Menschen, die im Wahllokal angestanden haben, um uns zu wählen.«
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