Bogotá knickt vor Protesten ein
Kolumbiens Regierung gibt Streikenden in Buenaventura Zusage für einen Zehn-Jahresplan
»Bei uns gibt es kein sauberes Trinkwasser«, erklärte uns ein junger Protestierender hinter einer brennenden Barrikade mitten auf der einzigen Verbindungsstraße zwischen der Hafenstadt Buenaventura und dem Inland. »Deswegen blockieren wir und streiken, bis die Regierung wahrnimmt, dass es uns Schwarze in Kolumbien gibt!« 21 Tage lang legte ein ziviler Generalstreik die größte Hafenstadt am Pazifik lahm. Alle Geschäfte waren geschlossen, die Hauptstraßen blockiert, Schulunterricht fiel aus und vor allem: Der Exporthafen stand still.
Als in den frühen Morgenstunden des 6. Juni die Einigung der Regierung und der Verhandlungsgruppe bekannt gegeben, und damit der Streik nach 21 Tagen offiziell als beendet erklärt wurde, reagierte der junge Mann zurückhaltend aber zuversichtlich. Er sei glücklich, es seien fortschrittliche Vereinbarungen erzielt worden. Jedoch zweifle er an der Aufrichtigkeit der Regierung: »Hoffentlich hintergehen sie uns nicht wieder. Sie verhandeln, unterschreiben, verpflichten sich, aber trotzdem ist bisher an der humanitären Lage nichts verbessert worden.«
Auch Víctor Vidal, ein Mitglied der fast ausschließlich mit AfrokolumbianerInnen besetzten Verhandlungsgruppe, glaubt, dass nun erst der schwerste Teil beginne: Die Umsetzung und Überwachung der Investitionen. »Wir haben wichtige Erfolge erzielt und vor allem innovative Maßnahmen verhandelt, diese umzusetzen«, sagte Vidal. Zu diesen gehört ein autonomes Vermögen, das 1,5 Billionen Pesos (460 Millionen Euro) umfasst und von der Region selbst verwaltet werden soll. »Damit wollen wir verhindern, dass die Gelder auf dem Weg nach Buenaventura verschwinden«, erklärt er. Korruption sei eins der Hauptprobleme Kolumbiens. Zudem soll damit der strukturellen Benachteiligung ein Riegel vorgeschoben werden. Aufgrund des staatlichen, institutionellen Rassismus in Kolumbien sind die von Schwarzen und Indigenen bewohnten Regionen die mit Abstand ärmsten.
Auch das sich wie ein Lauffeuer verbreitende Motto der Proteste spiegelt das Problem: »Das schwarze Volk gibt nicht nach, verdammt!« Protestierende trugen Pappschilder mit der Aufschrift »Black History Month«. Zum ersten Mal in der Geschichte des Departamentos traten indigene und Afro-Schutzeinheiten, die sogenannte Guardia, gemeinsam auf. Seitens der staatlichen Stellen wurden mehrere rassistische Kommentare über soziale Medien gepostet. Das ist in Kolumbien Alltag, aber zum ersten Mal konnten diese Hassreden skandalisiert werden. Das führte zu hohem Druck auf die staatlichen Instanzen. Zuletzt gab es sogar Entschuldigungen für das verachtende Verhalten seitens der Beamten.
Um der humanitären Notlage und der dramatischen Armut gerecht zu werden, wurden vor allem drei Punkte beschlossen. Mit einem gesetzlich verankerten Zehn-Jahresplan soll der Anschluss an sauberes Trinkwasser, Abwasser, Zugang zu Schulen und der Bau eines neuen Krankenhauses umgesetzt werden.
Während der Streik in der Region Chocó abgebrochen wurde und die Regierung dort als Gewinnerin aus den Verhandlungen hervorging, besteht in Buenaventura zumindest Hoffnung auf strukturelle Verbesserungen. Buenaventura hatte in der allgemein sehr strukturschwachen Pazifikregion eine bessere Verhandlungsposition als der Chocó. Die durch Blockaden verursachten Verluste konnten die Regierung zu Eingeständnissen zwingen. Dafür musste die protestierende Bevölkerung allerdings starkes Durchhaltevermögen zeigen. In nicht wenigen Vierteln Buenaventuras war das Leben ohne Hilfe in Form von Lebensmittelspenden von außen kaum mehr möglich gewesen. Kinder bettelten an den Blockaden um einen Schluck Wasser oder um ein bisschen Reis.
Innenminister Guillermo Rivera versicherte zum Verhandlungsende, dass »nun die Normalität wieder einkehren kann«. Auf welche Normalität er sich bezieht, ist unklar. In Buenaventura, dem Chocó und der gesamten Pazifikregion kann nicht von einer Versorgungskrise gesprochen werden: Die Unterversorgung ist Normalzustand. Und gegen diesen richtete sich der Protest.
Polizei und Militär reagierten mit massiver Gewalt. Bereits über 100 Anzeigen gegen staatliche Kräfte sind bei der Menschenrechtsstelle der Regierung eingegangen. Das Militär zielte mit Schusswaffen auf Protestierende, bewaffnete Polizei zeigte bei den Protesten Präsenz und schoss Tränengasgranaten in Wohnviertel. »Es ist ein Wunder, dass es nicht viele Tote gab«, berichtet eine Augenzeugin. Mehrere Kleinkinder starben indes an der Vergiftung durch das Gas, viele Kinder haben bleibende Schäden an den Augen erlitten. Buenaventuras Bevölkerung zahlt einen hohen Preis für legitime Forderungen.
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