Eros und Tod

Im Kino: »Ein Kuss von Beatrice« von Martin Provost

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Frauen prallen mit aller existenziellen Wucht aufeinander, so wie zwei einander ausschließende Lehrmeinungen vom richtigen Leben. Catherine Frot als Hebamme Claire und Catherine Deneuve als alternde Bohemien Beatrice scheint nichts zu verbinden, als die Tatsache, dass Beatrice einst die Geliebte von Claires Vater war und damit auch - für kurze Zeit - so etwas wie ihre Stiefmutter. Aber das ist viele Männer her und nun ist Beatrice, eine Frau mit Mitte siebzig, auf mondäne Weise pleite. Schlimmer noch, sie hat einen Hirntumor und sucht nach gemeinsamen Erinnerungen.

Für Regisseur Martin Provost ist eins klar: Alle Kunst hat zuletzt einen persönlichen Kern. Doch selten gibt er sich so klar zu erkennen wie hier. So scheint es jedenfalls auf den ersten Blick. Denn es klingt simpel: Martin Provost gäbe es nicht, wenn ihn bei seiner Geburt nicht die Hebamme mit ihrem eigenen Blut gerettet hätte. Als er erwachsen war, suchte er sie, der er sein Leben verdankt, aber fand sie nirgends. Also beschloss er, einen Film über eine Hebamme zu machen, die man auch in Frankreich - wir leben in einem technizistischen Zeitalter - zur »Geburtshelferin« umbenannt hat. Aus diesem Anstoß aber wurde spätestens durch die Wahl der beiden Hauptdarstellerinnen etwas, was sich - sollte es sie je gegeben haben - jeder simplen Absicht entzieht. Catherine Frots Claire ist eine Hebamme, die ihren Beruf verinnerlicht hat. Aber die kleine Entbindungsabteilung des Krankenhauses, in dem sie seit Langem arbeitet, wird geschlossen. Sie könnte in einer großen Geburtsklinik anfangen, die sie verächtlich »Babyfabrik« nennt, aber das will sie nicht. Überhaupt weiß sie sehr viel besser, was sie nicht will im Leben, als was sie will. Ihre Prinzipien verraten etwa will sie keinesfalls.

Doch das Leben scheint seine eigenen Wege zu gehen - und sie mitsamt ihrer Prinzipien sitzen zu lassen. Der Sohn ist ausgezogen, präsentiert ihr eine Freundin, die schwanger ist, was sie mit beruflicher Zurückhaltung zur Kenntnis nimmt, ach ja, sein Medizinstudium wird er auch abbrechen. Ihr Vater, einst ein berühmter Schwimmer, hat sich umgebracht, vermutlich wegen dieser Frau, die plötzlich auf ihrer Schwelle steht, als wäre nie etwas gewesen. Beatrice, diese Frau ohne Prinzipien, aber immer noch schön und auf originelle Weise unterhaltsam.

Catherine Frot spielt Claire als jene Frau Ende vierzig, die nicht daran glaubt, dass man im Leben etwas geschenkt bekommt. Und wenn doch, würde sie es nicht annehmen, weil so etwas verpflichtet. Sie verteidigt ihre Selbstständigkeit, ihre besonnene Art, die mit dem Wesentlichen rechnet, ist nicht bloß Fassade. Wie soll sie tagtäglich neuen Menschen helfen, ans Licht des Tages zu kommen, wenn sie nicht zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen unterscheiden könnte? Aber irgendwie beginnt nun doch eine leichte Erosion im fest gefügten Bau ihres Lebens, der einer Festung gleicht. Im Moment fühlt sie sich inmitten all ihrer Prinzipien eher wie eine graue Maus. Aber warum hört sie plötzlich zu, wenn ihr Gartennachbar über den Zaun ein Gespräch mit ihr sucht? Ein charmanter Fernfahrer (Paul Gourmet), der ihr zu signalisieren versucht, dass es noch andere Dinge im Leben gibt als eine Arbeit, die man zur Mission (v)erklärt. Vor Kurzem noch hätte sie das mit ihrer ebenso ruhigen wie entschiedenen Hebammenstimme, die so überzeugend »tief atmen und jetzt pressen« sagen kann, dementiert. Wenn sie den gerade zu Müttern werdenden Frauen das Gefühl gab, nichts könne ihnen an ihrer Seite passieren, dann stand das tatsächlich außer Frage. Aber nun ist sie verunsichert.

Daran ist Beatrice schuld, die, als hätte sie ein Recht dazu, in ihr Leben platzt. Eigentlich müsste sie sie rausschmeißen, aber sie hat einen Hirntumor, die Frist, die Beatrice bleibt, ist kurz. Soll man das glauben? Welch eine Rolle für Catherine Deneuve! Sie greift sie sich mit aller Leidenschaft fernab jeder Routine. Unglaublich, dass diese Schauspielerin seit über fünfzig Jahren, seit Polanskis »Ekel« von 1965, zu faszinieren vermag. Beatrice, diese ebenso egoistische wie großzügige Frau, ihre so unorganisiert-abenteuerliche Existenz habe sie gleich fasziniert. Eine Spielerin, die den Augenblick lebt und sich ebenso hemmungslos Erinnerungen hinzugeben vermag. Immer die großen Gesten, als wären diese eine Zuflucht vor der eigenen Kleinmütigkeit, die auf dem Sprung sitzt. Aber was ist es, Lebenslüge oder höhere Lebenskunst? Catherine Deneuve wahrt in ihrem Spiel das Geheimnis. Was wir sehen, das sind Verwandlungen verschiedenster Art, alle irgendwo zwischen Eros und Tod, Treue und Verrat.

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