NichtMitUns - Eine Demo gegen den Terror

Die Islam-Gelehrte Lamya Kaddor ruft Muslime in Deutschland auf, ein Zeichen zu setzen

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Lamya Kaddor ist die wohl bekannteste Vertreterin einer liberalen Auslegung des Islams in Deutschland. Sie ist Mitgründerin des »Liberal-Islamischen-Bundes«, Buchautorin und Lehrerin für »Islamkunde in deutscher Sprache«. In Dinslaken unterrichtete sie das Fach über 13 Jahre lang. Dinslaken galt lange auch als Schwerpunkt islamistischer Bestrebungen in Nordrhein-Westfalen. Junge Menschen radikalisierten sich in der Stadt am Rhein. Fünf ehemalige Schüler von Lamya Kaddor zogen für den »Islamischen Staat« in den syrischen Bürgerkrieg. Kaddor nennt die Entscheidung ihrer ehemaligen Schüler eine »persönliche Niederlage«. Die liberale Islam-Gelehrte setzt sich immer wieder gegen islamistischen Terror ein, fordert aber auch von der Mehrheitsgesellschaft mehr Mühe bei der Integration von Muslimen und warnt regelmäßig vor Rassismus.

Nun hat sich Lamya Kaddor erstmals entschlossen, eine Demonstration zu veranstalten. Gemeinsam mit dem Kölner Tarek Mohamad habe sie sich nach dem Anschlag an der London Bridge entschlossen, nun ein Zeichen gegen den Terror zu setzen. Ihr Mitstreiter Tarek Mohamad sei schon länger als Friedensaktivist unterwegs. Den Anschlag in London bezeichnet sie als »so etwas wie den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat«. Der »Rock am Ring«-Chef Marek Lieberberg, der nach der Unterbrechung des Festivals wegen einer möglichen Anschlagsgefahr eine Wutrede gehalten hatte, in der er Muslime zu Demonstrationen aufforderte, sei nicht ausschlaggebend für die Initiative gewesen. Die Aufforderung von Lieberberg betrachtet Kaddor »mit gemischten Gefühlen, denn seine Pauschalisierung war nicht o.k.«. Trotzdem haben Kaddor und Mohamad dem Festivalveranstalter eine E-Mail geschrieben und ihn eingeladen, an der Demonstration teilzunehmen.

Kaddor sagt realistisch, mit einer Demo, die von Privatpersonen organisiert werde, könne man »keine Wunder bewirken«. Das Ziel sei es, »ein starkes gesellschaftliches Signal« zu setzen »und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt« zu leisten. Natürlich werde die »Gewalt unter Verweis auf den Islam nicht von heute auf morgen aufhören«. Den Terroristen und ihren Unterstützern wolle man mit der Demonstration zurufen: »Nicht mir uns. Ihr gehört nicht zu uns! Ihr seid nicht wir und wir sind nicht ihr!«. Es gehe darum, Islamisten bewusst aus der Gesellschaft auszugrenzen. Gegenüber dem »nd« betont Kaddor allerdings auch, dass es nicht darum gehe, sich von gewaltbereiten Islamisten zu distanzieren. Dies sei nicht nötig, denn »Distanzierung setzt eine Nähe voraus. Und die haben wir nicht.«

Lamya Kaddor und Tarek Mohamad haben die Demonstration als Privatpersonen organisiert, das ist den beiden wichtig. Im Aufruf zur Demo heißt es, dass nur wenige Muslime in Deutschland in Verbänden organisiert seien. Aber sie haben, wie das bei Demonstrationen so üblich ist, um Unterstützung und Unterschriften unter den Aufruf gebeten. Die Unterschriftenliste wird von Stunde zu Stunde länger. Politiker aller großen Parteien teilen den Aufruf. Darunter durchaus Prominente wie Cem Özdemir von den Grünen.

Allerdings sorgt die Unterstützerliste auch für Kritik. An erster Stelle steht der »Zentralrat der Muslime in Deutschland«, der immer wieder für seine Mitgliedsorganisationen kritisiert wird. Jaklin Chatschadorian sitzt im Integrationsrat der Stadt Köln. Sie stammt aus Armenien und ist in der CDU aktiv. Sie sagt, der Zentralrat biete der ATIB, die sie als »türkische Rechtsextremisten« bezeichnet, ein Verbandsdach. Auch Kaddor sehe sie »sehr kritisch«, da diese »wegen ihrer Idschaza (Lehrerlaubnis) in Abhängigkeit zum Koordinationsrat der Muslime« stehe. Der Koordinationsrat würde von der umstrittenen islamischen Bewegung Milli Görüs dominiert. Chatschadorian glaubt, die Demo diene nur dazu, in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Wer es ernst meine, würde ohne die in der Kritik stehenden Gruppen demonstrieren.

Für die Demonstration am kommenden Samstag erwarten die Veranstalter zwischen 2000 und 10 000 Teilnehmer. Ihnen ist es wichtig, dass die Friedensbotschaft im Vordergrund steht. Sie wünschen sich keine parteipolitische Vereinnahmung.

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