Knoten in den Betonköpfen

Im Kino: Das Bürgerrechtsdrama »Loving« von Jeff Nichols

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer sie zusammen sieht, wird keinen Augenblick daran zweifeln, dass diese beiden ein Paar sind - und es sein sollten. Ihr Staat sah das anders. Im US-Bundesstaat Virginia hatten Rassengesetze zur Verhinderung just solcher Beziehungen eine lange Tradition, als Richard Loving und Mildred Jeter im Sommer 1958 heirateten, weil Mildred schwanger war - und beide das auch wollten. Begründung der Widerstände: Er war weiß, sie nicht.

Weil die Kinder solcher Paare gesellschaftlichem Schubladendenken ein Gräuel waren - nicht auszudenken, was es für Knoten in den Betonköpfen der Rassisten geben würde, wenn hellhäutige Enkel oder Urenkel vielleicht irgendwann mal für weiß gehalten würden! -, war ihre im Nachbarbundesland geschlossene Ehe im Bundesstaat Virginia polizeilich verboten. Und nicht bloß ihre Ehe: Kinder hätte es natürlich auch keine geben dürfen aus dieser Verbindung. Weil man die Existenz von Kindern aber schlecht verbieten kann, war es der Sex, der den Lovings zum Verhängnis wurde. Jedenfalls zeitweilig.

Um zu beweisen, dass diese beiden Jungvermählten nächtens ganz selbstverständlich etwas taten, was ihr Staat ihnen aber doch verboten hatte: sich tatsächlich körperlich zu lieben, so wie andere Paare auch, fielen im Juli 1958 eines Nachts Polizisten in ihr Schlafzimmer ein. Und fanden die Lovings - schlafend im Bett vor, ihre Heiratsurkunde gerahmt an der Wand, wo in katholischen Ländern ein Kreuz oder Madonnenbildchen hinge. Half alles nichts, die Liebe nicht, die Urkunde nicht, die Lovings landeten im Gefängnis. Jeder für sich, sie ein bisschen länger als er. Und dann vor Gericht. Haftstrafe lautete das Urteil, auch für die schwangere Mildred. Oder alternativ: Exil für mindestens 25 Jahre - länger als ein Vierteljahrhundert mochte offenbar auch im südstaatlichen Virginia niemand mehr auf staatlich verordnete Diskriminierung setzen.

Die Lovings also gehen ins Exil, in den District of Columbia, der ihnen schon Unterschlupf geboten hatte, als sie nach einem Amt suchten, das ihnen die Hochzeit nicht verweigern würde. Denn im District ist ihre ruhige, bescheidene, ganz und gar selbstverständliche Liebe keine Straftat. Und auch keine Schande. Jahrelang leben sie dort, arbeiten, bekommen Kinder, leben so ganz anders, als sie in ihren eng verflochtenen ländlichen Familien zu Hause hätten leben können. (Ihre Familie erscheint im Film strenger als seine. Aber so sind Familien eben: unterschiedlich.)

Dann übermannt sie das Heimweh, ein Kind verletzt sich im städtischen Straßenverkehr (so jedenfalls schildert es der Film), und die Lovings kehren heim. Nicht ohne vorher einen Anwalt gefunden zu haben, der sie und ihren Fall ganz offensiv vertreten möchte. Einen Anwalt mit geliehener Kanzlei zwar, aber den besten Absichten - und einem guten Blick dafür, wie gut sich gerade dieses ebenso fotogene wie ganz und gar bescheidene Paar für eine gesellschaftspolitisch weitreichende Kampagne gegen Rassendiskriminierungsgesetze eignen würde. Von ihrem wie für das Anliegen gemachten Nachnamen ganz zu schweigen. Loving! Liebend! Fast zu gut schon, um auch wahr zu sein. Von 1964 an, von ihrer Petition an den Generalbundesanwalt (das war zu der Zeit Robert Kennedy) bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA in der Sache Richard Perry Loving und Mildred Jeter Loving gegen (den Bundesstaat) Virginia am 12. Juni 1967, machten die Lovings Geschichte. Weil sie nicht teilnahmen an den Verhandlungen in ihrem Namen, ist auch Jeff Nichols‘ Film nicht (oder nur einmal kurz) dabei im Gerichtssaal. Stattdessen bleibt er bei den Lovings zu Hause, ganz wunderbar gespielt von Ruth Negga (oscarnominiert) und Joel Edgerton.

Heute haben sie in den USA ihren eigenen Gedenktag: den Loving Day. Es ist der 12. Juni, der Tag ihres Gerichtsentscheids, der nicht nur ihr Leben änderte - neun Jahre nach der Nacht, als die Polizisten die Taschenlampen auf ihr Ehebett richteten. Kein Zufall also, dass der - sehr sehenswerte - Film in dieser Woche startet.

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