Überwachung: Strafanzeige gegen Real und Deutsche Post
Beide Unternehmen analysieren per Videoüberwachung die Gesichter ihrer Kunden
Die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage hat Strafanzeige gegen die Supermarktkette Real und die Deutsche Post gestellt. Der Vorwurf: Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und Verstoß gegen das Datenschutzgesetz durch automatische Gesichtserkennung per Videoüberwachung.
In 100 Filialen der Deutschen Post in Berlin, Köln, Hamburg und München und 40 Real-Märkten wird seit Herbst 2016 ein Videoanalysesystem getestet, die das Verhalten der Kunden auswertet. In welchen Filialen Real das System einsetzt, ist nicht bekannt, nur einzelne Städte wie Augsburg und München wurden gegenüber der Presse als Gebiete genannt. Auf eine Anfrage des nd erklärte die Supermarktkette nur man könne die Orte nicht bekanntgeben. Die Deutsche Post antwortete bis Mittwochnachmittag nicht auf eine Anfrage.
Bei dem System der Gesichtserkennung durch Kameras in Werbedisplays werden die Gesichter der Kunden für einige Millisekunden gespeichert. Die Software der Firma Indoor Advertising aus Berlin ermittelt dabei das vermutete Geschlecht, Alter und die Dauer des Blickkontakts.
Mit Hilfe der automatisierten Datenanalyse wird auf den Werbedisplays in den Testfilialen von Real und der Deutschen Post zielgenau Werbung angezeigt. Mit den Informationen aus der Gesichtserkennung könnten die Werbedisplays dann etwa Barbie-Werbung für Mädchen anzeigen oder Action-Helden für Jungen, Anti-Aging-Cremes für Frauen ab vierzig oder Pheromon-Deodorant für Männer in ihren Zwanzigern.
In Zukunft sollen laut Branchenvertretern auch Kleidung, Emotionen und Körperhaltung der Kunden analysiert werden, um Werbung noch genauer einzusetzen. Das jedoch werde zumindest AdPack nicht tun, teilte das Unternehmen dem nd mit.
Bisher werden Kunden in den betroffenen Filialen laut Angaben von Digitalcourage nur auf konventionelle Kameraüberwachung hingewiesen. Damit können sie nicht wissen, dass sich hinter den Werbedisplays auch ein System der intelligenten Gesichtserkennung verbirgt und ihr Einkaufsverhalten anschließend ausgewertet wird. »Wenn diese Firmen nichts dabei finden, die Präferenzen ihrer Kunden auszuforschen, bleibt unverständlich, warum sie dies heimlich tun«, meint Digitalcourage-Rechtsanwalt Markus Kompa.
Paragraf 6b des Datenschutzgesetzes erlaubt das Filmen von Individuen in Geschäften nur zum Schutz vor Diebstahl und für »berechtigte Interessen für konkret festgelegt Zwecke«. Ein solcher ist der Schutz von Leib und Leben, also die Videoüberwachung zur Sicherheit der Kunden. Ob das Filmen von Kunden ebenfalls ein »berechtigtes Interesse« ist, muss nun das Landgericht Düsseldorf entscheiden.
Die Aktivisten von Digitalcourage sehen die Technik als »einen Dammbruch für weitere Begehrlichkeiten der Werbeindustrie«. Sie wollen nicht, dass der Einzelhandel den »Kunden digital durch den ganzen Laden verfolgt«. Das verletzte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung derer, die nicht ausgeforscht werden wollen und nicht widersprechen können.
Viele Deutsche denken ähnlich wie die Bürgerrechtler von Digitalcourage: Laut einer YouGov-Umfrage finden 73 Prozent der Deutschen den Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung zur gezielten Ausspielung von Werbung schlecht oder eher schlecht. 81 Prozent würden den Einkauf in einem solchen Supermarkt vermeiden.
Mittels der Kombination von Zahlungsdaten könnte die De-Anonymisierung der Daten in Zukunft rückgängig gemacht werden, fürchten die Aktivisten von Digitalcourage. Außerdem sei mit dem System in Zukunft auch die Erstellung von Kundenprofilen und Preisdiskriminierung möglich.
Real und die Deutsche Post halten einen Hinweis der Kunden auf die Videoanalysetechnik laut heise.de für nicht nötig. Die sei unbedenklich, weil keine personenbezogenen Daten oder Bilddaten, sondern nur anonymisierte Metadaten erhoben und diese verschlüsselt übertragen werden.
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