Cristina Kirchner kehrt auf Politbühne zurück
Argentiniens Ex-Präsidentin läuft sich in vollem Stadion für die Wahlen im Herbst warm
Cristina Kirchner füllt noch immer die Stadien. Am Dienstag trat Argentiniens ehemalige Präsidentin (2007-2015) im übervollen Stadion von Arsenal de Sarandí erstmals seit ihrer Abschiedsrede vor der Casa Rosada im Dezember 2015 wieder vor ihre Anhängerschaft. »Vamos a volver - Wir kommen wieder«, singen die gut 50 000 Leute und fordern sie mit Sprechchören zur Kandidatur auf.
In einem in den Farben der argentinischen Fahne gehäkelten Poncho kommt Cristina Kirchner auf die Bühne kommt. Bewusst hatte die Politikerin den 20. Juni gewählt, den nationalen Feiertag der argentinischen Fahne. »Bringt Fahnen mit, klein, selbstgemacht oder groß und darin eingehüllt«, hatte sie in ihrem Aufrufvideo in den sozialen Netzwerken verkündet. Auf alle Parteisymbolik sollte verzichtet werden und ihre Anhängerschaft folgte. Das Stadion ist eingetaucht in hellblau und weiß. »Gracias Argentina«, ruft sie. Die Stimme ist heiser, überschlägt sich. »Ich muss wieder ein Amt übernehmen«, antwortete die 64-Jährige, ließ sich mit diesen Worten jedoch alle Türen offen.
Gegenwärtig erstellen Argentiniens Parteien und politische Gruppierungen ihre Listen für die im August stattfindenden Vorwahlen. Hinter den Kulissen wird intensiv verhandelt und gerangelt, wer mit wem koaliert und zusammen auf einer Liste erscheint. Bis Ende der Woche läuft die Abgabefrist. Im Oktober wird bei den Kongresswahlen die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel des Senats neu gewählt.
Marisa Nieres laufen die Tränen. »Aguanta Cristina, Halt durch«, ruft sie jetzt. Schon seit Stunden wartet die 52-jährige Hausfrau aus Berazategui, einer Kleinstadt im Südosten des Großraums Buenos Aires, in der ersten Reihe. »Die neue Regierung von Mauricio Macri ist eine Unternehmerclique, die nur ihre eigenen Geschäftsfreunde bedient.« Bereits am Ende der Kirchner-Ära lebten zwölf der 42 Millionen Argentinier unterhalb der Armutsgrenze. »Cristina hat sich immer um uns gekümmert«, sagt Marisa Nieres. Macri ist kalter Neoliberalismus, Cristina Kirchner soziale Wärme.
»Ich weiß, dass es bei immer mehr von Euch nicht bis ans Monatsende reicht«, sagt sie. Selbstkritik an ihrer Amtszeit? »Es geht um die Gegenwart und die Zukunft«, sagt sie. Die konservativ-neoliberale Politik der neuen Regierung habe das Leben der Menschen aus den geordneten Bahnen geworfen, heute sei nichts mehr planbar. Statt nackte Zahlen zu referieren, holt sie eine Studentin auf die Bühne, deren Stipendium gestrichen wurde, eine Rentnerin, deren Beihilfe für Medikamente wegfiel, die Köchin einer Volksküche, in der außer den Kindern jetzt auch die Eltern um eine warme Mahlzeit anstehen … Am Ende ist sie umringt von über 20 lebenden Beispielen.
Wer das alles wieder ins Lot bringen kann, ist offensichtlich. Auf das Wie, gibt sie keinen Hinweise. Cristina Kirchner sammelt die Verlierer der neuen Politik hinter sich und gibt sich zugleich nach allen Seiten offen. Sie wirbt für eine »Unidad Ciudadana«, ein breites Bürgerbündnis, mit dem der Regierung Grenzen gesetzt werden müssen. Auf eine Kandidatur für ein politisches Amt hatte sie nach dem Ende ihrer Präsidentschaft verzichtet. Jetzt geht sie wieder auf Stimmenfang. Ihre Stammwählerschaft liegt bei Umfragen in der bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires bei rund 30 Prozent der Stimmen. Damit hat sie gute Chancen, ein Mandat zu erringen.
Angesichts der Prozesslawine wegen Korruption und Amtsmissbrauch, die auf sie zurollt, wolle sie die parlamentarische Immunität, ist für ihre Kritiker die eigentliche Motivation ihrer Kandidatur. Für die meisten ihrer Anhänger im Stadion ist das ein Teil der Rache der Neuen an der Macht. »Macri und seine Kumpane wollen doch nur von ihren Konten in den Steuerparadiesen ablenken«, verweist Marisa Nieres auf die prominente Erwähnung des Präsidenten in den PanamaPapers. »Cristina ist eine von uns«, sagt sie. »Vamos a volver - Wir kommen wieder«, hallt es auf dem Nachhauseweg durch die Straßen.
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