Angepasster Querdenker
Schalke präsentiert den neuen Trainer - der gibt sich bescheiden, aber ehrgeizig
Als Domenico Tedesco Mittwochmittag um kurz vor zwölf zu seinem ersten offiziellen Termin auf Schalke schritt, endete in der blau-weißen Arena gerade eine Publikumsführung. Überwiegend ältere Damen und Herren stiegen aus dem Untergeschoss hoch ans grelle Tageslicht, bestaunten das aufgeregte Gewese um den neuen Cheftrainer der Gelsenkirchener. Ein Mann um die 70, im roten Poloshirt, lupfte vor dem 31-Jährigen höflich seinen Sonnenhut. Tedesco schmunzelte, ehe er kurz darauf über seinen erstaunlichen Karrieresprung sprach.
Anfang März heuerte er in den Tiefen der zweiten Bundesliga bei Erzgebirge Aue an, führte die Sachsen in elf Partien vom letzten Platz zum Klassenerhalt. »Eine kleine Sensation« nannte er sein Wirken nahe der tschechischen Grenze nun mitten im Ruhrgebiet, räumte aber bescheiden ein: »Ich bin nicht weltfremd, vor einem halben Jahr war ich noch Jugendtrainer in Hoffenheim. Aber in meinem Kopf gibt es keinen Karriereplan, ich denke immer von step zu step.«
Die Schritte - oder vielmehr: Rückschritte -, die der Revierklub unter seinem Vorgänger Markus Weinzierl machte, raubten den Schalker Verantwortlichen den Glauben an eine bessere Zukunft. »Uns ist es nicht gelungen, eine Philosophie in unser Spiel zu bringen«, fasste Manager Christian Heidel die zwölfmonatige Schaffenszeit von Weinzierl zusammen. Und drückt sich jetzt selbst am meisten die Daumen, dass sein Händchen für Trainertalente bei Tedesco noch genauso gut funktioniert wie früher in Mainz bei Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
Bei Tedescos Vorstellung rühmte Heidel dessen taktisches Geschick, die Fähigkeit, eine Mannschaft zu entwickeln, und die ausgeprägte soziale Kompetenz und Kommunikationsbereitschaft. »Dass er etwas jünger ist, ist in Ordnung. Darin habe ich ja ein bisschen Erfahrung«, kommentierte der 54-jährige Manager väterlich-selbstverliebt. Während der fast schon jugendlich wirkende Coach an seiner Seite eher brave, unverbindliche Töne anschlug.
Zu den naheliegenden Vergleichen mit Hoffenheims Erfolgstrainer Julian Nagelsmann etwa sagte er: »Die stören mich nicht.« Den Fußballlehrer-Lehrgang absolvierten die beiden gemeinsam, Tedesco war mit der Traumnote 1,0 dabei noch besser als Nagelsmann. Bei der Suche nach einem passenden Trainerteam beim FC Schalke halfen ihm die guten Zensuren bislang nicht weiter, zuletzt soll ihm der frühere Nationalspieler Andreas Hinkel abgesagt haben. »Ich bin nicht der Typ, der eine Handgranate reinwirft und die eigenen Leute in einem Verein platziert«, betonte Tedesco in einer kurzen radikalen Anwandlung. Auch in Aue habe er ohne eigenes Trainerteam gearbeitet - denn: »Ich mag neuen Input und Leute, die querdenken.«
Mit der ersehnten Spielphilosophie konnte der in Kalabrien geborene Übungsleiter die Schalker bisher nicht beglücken. »Die Qualität der Spieler steht im Vordergrund, der Trainer hat sich ein Stück weit anzupassen«, erklärte Tedesco und deutete an, ähnlich wie Nagelsmann mit der TSG während des Spiels bei Bedarf immer mal die Taktik zu wechseln. »Ich gehe davon aus, dass wir eine Spielidee erkennen. Da geht es um Akzentuierung - deshalb wollen wir sehr flexibel auftreten und uns am Gegner, aber auch an den eigenen Spielern ausrichten.«
Die Auswahl der passenden Assistenten erachtet der mit einem Zweijahresvertrag eingeführte Schalker Trainer als eminent wichtig. »Schließlich sehe ich diese Leute dann öfter als meine Frau«, sagte er - und umkurvte anschließend den gemeinen Hinweis auf Vorgänger Weinzierl. Dem sagte bei der Wohnungssuche vor einem Jahr ein Vermieter mit der Begründung ab, er suche einen langfristigen Mieter. Tedesco wohnt die nächsten sechs Wochen erst mal im Hotel - danach soll es eine Bleibe im Ruhrgebiet sein. »Idealerweise in Gelsenkirchen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.