Nach Afghanistan soll offenbar weiter abgeschoben werden
Medien: Flug nach Kabul für nächsten Mittwoch geplant / UN sieht »sehr gefährliche Lage« im Land / Erneuter Ansachlag mit über 20 Toten
Berlin. Ungeachtet der Krisen und der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan könnte nach Medienberichten in der kommenden Woche erneut ein sogenannter Abschiebeflug in Richtung Kabul starten. Nach übereinstimmenden Berichten von NDR und »Spiegel Online« aus der Nacht zum Donnerstag sollten am Mittwoch abgelehnte Asylbewerber - in diesem Falle Straftäter, Gefährder oder Menschen, die ihre Identität nicht verraten wollen - von Leipzig nach Afghanistan geflogen werden.
Eine offizielle Bestätigung der Behörden dazu gebe es nicht, lauteten die Berichte. Das Bundesinnenministerium wollte auf Nachfrage des NDR den Flug weder bestätigen noch dementieren Wegen der wiederholten Anschläge in Kabul waren die umstrittenen Abschiebungen nach Afghanistan zunächst auf Eis gelegt worden, bis durch das Bundesaußenministerium eine neue Einschätzung der Sicherheitslage vorliege.
Die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) hat die nach ihren Angaben geplante Fortsetzung von Abschiebeflügen nach Afghanistan scharf kritisiert. »Unseren Informationen nach ist es tatsächlich so, dass für die kommende Woche ein weiterer Abschiebeflug nach Afghanistan von Seiten des Bundesinnenministeriums geplant ist«, sagte Spiegel am Donnerstag.
»Solange die deutsche Botschaft in Afghanistan nicht funktionsfähig ist und die behördliche Überstellung der Menschen im Flieger nicht gewährleistet ist, kann ich es nicht verantworten, aus Rheinland-Pfalz Menschen für diesen Flug anzumelden«, sagte Spiegel der Deutschen Presse-Agentur. Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz will mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan nur Straftäter und Gefährder dorthin zurückschicken. »An dieser Linie halten wir fest«, sagte Spiegel und forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf, die Landesregierung über die Funktionsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul zu unterrichten.
Angriff von Taliban und IS-Kämpfern im Norden des Landes, Bombenschlag mit über 20 Toten
Sowohl angebliche Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) als auch der radikalislamischen Taliban haben einen Bezirk in Nordafghanistan angegriffen und teilweise erobert. Das bestätigten Provinzbeamte am Mittwochmorgen. Taliban und IS, die verfeindet sind, hätten gegeneinander, aber auch gegen die Sicherheitskräfte gekämpft, sagte der Sprecher des Provinzgouverneurs, Mohammad Resa. Mindestens zehn Sicherheitskräfte seien getötet worden.
Zunächst hätten IS-Kämpfer das Zentrum des Darsab-Bezirks angegriffen. Die Kämpfe hätten bis Dienstagabend gedauert, sagte Resa. Die Taliban hätten dann den IS attackiert, woraufhin die Streitkräfte bis Mitternacht mit beiden Lagern gekämpft hätten.
Berichte über die Lage im Bezirk blieben widersprüchlich. Die Taliban erklärten in der Nacht einen Sieg und die Eroberung aller Sicherheitsposten. Nach ihren Angaben wurden 17 Sicherheitskräfte getötet. Der IS meldete, er habe sieben Sicherheitsposten erobert und acht Soldaten getötet. Gouverneurssprecher Resa sagte, einige Gegenden.
UN sieht »sehr gefährliche« Lage im Land – höchste Dichte an Terrororganisationen weltweit
Die jüngsten Kämpfe und Anschläge in Afghanistan könnten nach Einschätzung der Vereinten Nationen der Auftakt zu einer »noch viel schlimmeren und fragileren Periode« am Hindukusch sein. Zwischen dem 1. März und dem 31. Mai hätten die UN 6252 »Sicherheitsvorfälle« wie Kämpfe und Minenexplosionen registriert, heißt es in dem jüngsten Dreimonatsbericht an den UN-Sicherheitsrat zu Afghanistan. Das seien zwei Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Am stärksten habe die Gewalt im Osten und Süden zugenommen, heißt es in dem Bericht. Im Osten allein sei die Anzahl der Vorfälle um 22 Prozent angestiegen. Die Taliban hätten Angriffe auf Kundus, Badachschan, Baghlan, Farah, Fariab, Helmand, Kunar, Laghman, Sare-e Pul, Sabul und Urusgan konzentriert. In Badachschan, Baghlan und Kundus war bis vor einigen Jahren die Bundeswehr Schutzmacht gewesen.
In einem ebenfalls in der Nacht zum Donnerstag dem US-Senat vorgestellten Lagebericht des Pentagons heißt es, die kontinuierlichen Talibanangriffe im ganzen Land hätten das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung weiter geschwächt. Zwischen Januar und Ende Mai habe es acht große Anschläge in Kabul und 42 große Anschläge in anderen Landesteilen gegeben. Afghanistan werde nicht nur von den Taliban bedroht, sondern von bis zu 20 terroristischen Organisationen. Das sei die höchste Konzentration von Terrorgruppen in der Welt. dpa/nd
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