Ein Zug, der einem im Tunnel entgegenkommt

Eltern einer Weddinger Grundschule protestieren gegen volle Klassen / Schulstadtrat sieht wenig Spielraum

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn sich am kommenden Mittwoch die Eltern, Schüler, Erzieher und Lehrer der Erika-Mann-Grundschule in Wedding auf den Weg machen, um Carsten Spallek (CDU) ihre Wut über die vollen Klassen entgegen zu schleudern, wird der Schulstadtrat im Rathaus Tiergarten gar nicht anzutreffen sein. Er habe einen Außentermin und deshalb vorgeschlagen, den Demonstrationszug in die Rehberge umzuleiten, sagt er. Denn: »Die Grundkritik der Eltern trifft ja zu.«

Ob dieser Vorschlag bei den Betroffenen Beifall auslöst, ist fraglich. Denn bisher, so sagen die Eltern, habe es der Schulstadtrat an konkreten Hilfestellungen fehlen lassen. »Es gibt kein Engagement, etwas zu tun«, sagt Elternvertreter Jan Krebs. Das Problem? Dasselbe wie an vielen Berliner Grundschulen: Es gibt zu wenig Platz für immer mehr Schüler.

Obwohl die Schule ein Anrecht darauf hat, Klassen mit lediglich 25 Kindern einzurichten, weil es viele mit Migrationshintergrund, Förderbedarf und in Armut gibt, müsse nach den Sommerferien eine Klasse mit 27 Kindern angeboten werden. Das schreiben die Eltern in einem Protestbrief an Spallek, der dem »nd« vorliegt. Die Klasse werde zudem nur Viertklässler aufnehmen können, obwohl die Schule eigentlich jahrgangsübergreifenden Unterricht anbietet. Einen Antrag auf Absenkung der Schülerzahlen habe der Schulstadtrat jedoch abgelehnt, so Krebs.

»Glauben Sie etwa, dass es mir Spaß macht, die Anträge nicht genehmigen zu können?«, fragt Spallek. Ihm bleibe jedoch keine andere Wahl. Bis 2020 rechne der Bezirk mit rund 340 zusätzlichen Schülern. »Das ist schon ordentlich.« Seines Erachtens habe der damalige Schulstadtrat die Entwicklung verschlafen. Nun gebe es im Bezirk kaum noch landeseigene Grundstücke, auf denen gebaut werden könne. Der Stadtrat wird sogar noch deutlicher: »Das, was die Eltern hier machen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wie zwei kleine Lichter, die einem im Tunnel entgegenkommen - das ist der Zug.«

Der Zuwachs hat an der Erika-Mann-Grundschule konkrete Konsequenzen. Computerraum und Freizeitraum seien schon weggefallen, schreiben die Eltern, nun werde auch die Lernwerkstatt gestrichen. »Die Kinder essen bereits in vier Schichten in der Mensa und gehen in zwei Schichten in die Pause«, erzählt Krebs. Es gäbe zwar Pläne für Modulare Ergänzungsbauten (MEB) - doch die Schnellbauten genügten nicht den Ansprüchen einer modernen Pädagogik. Und wann sie entstehen sollen, sei auch ungewiss.

Spallek bestätigt, dass ein MEB an der Möwensee-Grundschule entstehen soll (Schuljahr 2018/19), zwei weitere an der Gottfried-Röhl- und Anna-Lindh-Schule (beides Schuljahr 2019/20). Damit werde die Anna-Lindh-Schule jedoch zur größten Grundschule der Stadt - mit über 1000 Schülern. »Das ist für eine Grundschule nicht geeignet«, sagt Spallek. »Das ist eher eine Fabrik.«

Die Eltern kritisieren auch, dass nur an einem einzigen Standort, in der Reinickendorfer Straße, eine neue Schule entstehen soll, und selbst das werde noch geprüft. Spallek sagt, dass das dortige »schimmelbefallene Haus der Gesundheit« den Eltern gar nichts nützen würde: »Das ist zu weit weg.«

Die Eltern bemängeln, dass es keine Vorschläge gibt, wie man die Situation kurzfristig entlasten könnte. Ob er den Eltern am Mittwoch tatsächlich sagen wird, dass er nichts tun kann? »›Nichts‹ ist das falsche Wort«, sagt Spallek. »Aber als ich mein Amt im November angetreten habe, war mein Anspruch, dass es nicht schlimmer wird. Nun denke ich: Die Situation wird sich sogar noch verschlimmern.«

Hoffnung, beim Senat etwas zu bewirken, habe er nicht. Als er der Verwaltung gemeldet habe, wo er dem Bezirk wie versprochen bei der Sanierung von Schulen unter die Arme greifen könne, bekam er keine Zusage, sondern lediglich die Antwort, dass man gerade an Strategien arbeite, den Senatsbeschluss umzusetzen.

Den Eltern wird das nicht reichen. »Es zeichnet sich keinerlei Verbesserung ab. Es kommt immer noch eins drauf«, sagt Krebs. Und noch ein Problem hat Spallek: Das Schulamt ist weiter ohne Leitung. Die Kandidatin, die bereits den Vertrag unterschrieben hatte, hat wieder abgesagt, teilte der Stadtrat am Freitag mit.

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