Weil du auch ein Arbeiter bist
Ist die SPD noch die Partei der Malocher? Über das Selbstverständnis von Beschäftigten und die Wahlstatistik
Nach der jüngsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen konnte man hier und da lesen, dass die SPD »bei ihrer einstigen Kernklientel, den Arbeitern«, spürbare Verluste erlitten habe. Zwar wurden die Sozialdemokraten in ihrer »Herzkammer« mit 34 Prozent in dieser Gruppe immer noch stärkste Kraft. Bei der Wahl davor waren es aber noch 41 Prozent. Wo sind sie hin, die Arbeiter? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Denn erst einmal muss man klären, was ein Arbeiter wahlpolitisch ist.
Das Statistische Bundesamt bezeichnet so »alle Lohnempfänger«, und zwar unabhängig von der Qualifikation. Damit wären dann jene Beschäftigten gemeint, die »überwiegend in gewerblichen und handwerklichen Berufen« tätig sind - vom Facharbeiter über die Angelernten bis zu Haushaltshilfen.
Weiter gefasst ist der Begriff »Arbeitnehmer« - der bei den Bundesstatistikern praktisch alle bezeichnet, die in Wahrheit eigentlich Arbeit geben: also die abhängig Beschäftigen. Hierunter zählen vom Prekären über den verbeamteten Richter, von der Führungskraft bis zum Erwerbslosen in einer Maßnahme ziemlich viele und sehr unterschiedliche Biografien. Der »Arbeiter« ist dem gegenüber enger gefasst. Maßgeblich dafür, wie viele Arbeiter es gibt, sind aber nicht nur offizielle Einordnungen, denen zufolge die Gruppe auch immer kleiner wird. Sondern es geht nicht zuletzt um das persönliche Zugehörigkeitsgefühl. Der Parteienforscher Thorsten Faas hat das damit zusammenhängende Beobachtungsproblem einmal so formuliert: Das Selbstbild als Arbeiter hängt nicht zuletzt davon ab, »inwieweit politische Eliten diese Verständnisse immer wieder aktivieren. Konkret: Spricht eine linke Partei gezielt die Arbeiterschicht an?«
Das kann recht unterschiedliche Effekte haben: 1998 aktivierte die Kandidatur Gerhard Schröders dieses Selbstbild - und die, die sich als Arbeiter verstanden, wählten auch zu einem großen Teil SPD. 2004 war es im Lichte der Agenda-Reformen genau umgekehrt: Die Kürzungsmaßnahmen aktivierten zwar wieder das Arbeiter-Selbstbild, aber mit politisch anderem Effekt - dem der Entfremdung. Man wählte, weil man sich als Arbeiter und also als Benachteiligter der SPD-Politik fühlte, andere Parteien.
Dennoch blieb innerhalb des sozialdemokratischen Elektorats der Arbeiteranteil recht hoch - dies waren die Stammwähler. Inzwischen gehen Forscher von einem Arbeiteranteil von weniger als einem Viertel in der Wählerschaft der SPD aus. 1990, so Faas, waren es noch 40 Prozent.
Wenn also der Anteil von Arbeitern unter den Wählern einer Partei betrachtet wird, muss auch die Veränderung des Anteils von Arbeitern in der Gesellschaft beachtet werden - und das sich durch Politik ändernde Selbstbild von Beschäftigten. In Zeiten, in denen wieder mehr von Klassenpolitik und den systemischen Gegensätzen zwischen »oben« und »unten« gesprochen wird, könnten sich auch wieder mehr Beschäftigte als »Arbeiter« verstehen. Doch dies ist nur eine Vermutung.
Wer am Wahlabend auf die Teilergebnisse in bestimmten sozialen Gruppen schaut, sollte noch dies beachten: Die Umfrageinstitute definieren Arbeiter durchaus unterschiedlich. Mal wird nach der Tätigkeit gefragt, dann sind nur die Arbeiter gemeint, die auch erwerbstätig sein. Mal spielt die Berufsgruppe die entscheidende Rolle, und der gehört man auch als Erwerbsloser oder Rentner in der Selbstbetrachtung noch an. Wird so gezählt, liegt auch der Anteil der Arbeiter unter den Wählern einer Partei höher als bei einer separaten Erfassung von Erwerbslosen und Rentnern.
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