Gesucht: Nachfolge der Geschwister Scholl
Das Zentrum für politische Schönheit sucht in ihrer neuen Aktion Schülerinnen und Schüler, die Flugblätter in Diktaturen verteilen
Sie ist keine 22 Jahre alt, als sie in München auf dem Schaffot endet: Sophie Scholl. Mit ihr zusammen stirbt ihr Bruder Hans. Sie wurden 1943 von der NS-Diktatur hingerichtet. Beide gehörten der Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose« an, die zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 ihre ersten Flugblätter verteilte. Diese wurden anonym mit der Post an Intellektuelle im Raum München verschickt. In ihren Flugblättern riefen sie zum Widerstand gegen das Dritte Reich auf. Im Namen des deutschen Humanismus und christlicher Werte. »Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!«, heißt es in einem ihrer Flugblätter. 75 Jahre später sucht das politische Kunstkollektiv »Zentrum für politische Schönheit« (ZPS) nach einer würdigen Nachfolge.
Ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegangen seien die Aktionen der Gruppe um Hans und Sophie Scholl, verkünden die AktivistInnen des ZPS. Und fragen sich, ob sie auch heute noch versuchen würden, die Menschheit von der Tyrannei zu befreien. »Die Waffe des freien Wortes, das öffentlich und unkontrolliert auf Papier zirkuliert, versetzte 1942 ein ganzes Regime in Alarmzustand. Fünf Menschen gelang es allein mit ihrem Mut, ein gesamtes Regime zu verunsichern«, erinnern die AktionskünstlerInnen. Da es noch heute Diktaturen gibt, hat das ZPS nun einen Wettbewerb ausgerufen.
Vermeintlich in Zusammenarbeit mit der bayerischen Staatsregierung werden bundesweit Schülerinnen und Schüler dazu aufgerufen, Flugblätter gegen »eine Diktatur ihrer Wahl« zu schreiben. Zur Auswahl stehen Syrien, Russland, Sudan, Nordkorea, Eritrea, Simbabwe, Türkei, Usbekistan, Saudi-Arabien und Tschetschenien. Bis Donnerstag, den 29. Juni um 16 Uhr, werden die besten Flugblätter von einer Jury gekürt. Als Preise warten unter anderem ein Ipad, ein Auftritt mit Jan Böhmermann im Neo Magazin Royale oder ein »Die Welt«-Abo. Parallel suchen die AktionskünstlerInnen Menschen, die die Flugblätter dann auch verteilen. Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren werden dazu aufgefordert, sich darauf zu bewerben, in eine »Diktatur ihrer Wahl«zu reisen.
Ihre Aufgabe besteht laut dem Zentrum für politische Schönheit darin, eine diplomatische Krise zwischen der Bundesrepublik und dem Zielland auszulösen, um so die totalitären Staatsregierungen zu verunsichern. Die Reise findet laut des ZPS unter der Schirmherrschaft des Bayerischen Staatsminsters des Innern, Joachim Herrmann (CSU), statt und beginnt bereits am 30. Juni. Begleitend zu der Aktion hat das ZPS Unterrichtsmaterialien an bayerische Schulen verschickt und Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer dazu aufgefordert, Schwerpunktunterricht zu den Erlebnissen abzuhalten, die junge Menschen zum Widerstand gegen totalitäre Diktaturen motivieren.
Es ist nicht das erste Mal, dass das ZPS ein deutsches Ministerium kapert und in dessen Namen seine Aktionen ausruft. Mit der fiktiven Kampagne »Kindertransporthilfe des Bundes« rief vermeintlich das Familienministerium potenzielle Pflegeeltern in Deutschland dazu auf, vorübergehend syrische Kinder aufzunehmen. Nur: die Bundesregierung wollte von so einer Aktion nichts wissen. Dahinter steckten die AktivistInnen des ZPS. Und brachten mit der Aktion die damalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) in Bedrängnis.
Die aktuelle Aktion werde unter anderem ermöglicht »von den 144.000 Mitgliedern der CSU«, heißt es am Ende der Mitteilung des ZPS. Das Kultusministerium in München will von einer solchen Aktion übrigens nichts wissen und verneint auch eine Zusammenarbeit mit der KünstlerInnengruppe. Schade eigentlich. Denn dann ist auch die angebliche Anordnung Joachim Herrmanns, noch in dieser Woche zwei zusätzliche Doppelstunden zum Thema »Die Scholls« in den Lehrplan der bayerischen Schulen aufzunehmen, leider ein Fake. Es hätte dem Lehrplan im Freistaat nicht schlecht zu Gesicht gestanden, den Geschwistern Scholl zum 75. Jubiläum der Verteilung der Flugblätter der »Weißen Rose« einige Unterrichtsstunden zu widmen.
Alle Informationen zu der Aktion unter www.scholl2017.de
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.