»Kritisiert Israel ...«
nicht die Existenz dieses Staates. Dieser Appell findet sich in einem neuen Band, in dem sich zwei linken Juden mit dem Antisemitismus auseinandersetzen.
»Mit Faschisten kann man nicht reden, die muss man schlagen.« Dieses Statement kommt nicht etwa von einem jungen autonomen Antifaaktivisten. Es ist der 1947 geborene Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, Wolfgang Seibert, der sich nicht nur in Worten so klar positioniert. Für den langjährigen Aktivisten, ist es selbstverständlich, bei Demonstrationen in den vorderen Reihen zu stehen. Und doch hatte sich Seibert mehrere Jahre ganz von der politischen Arbeit zurückgezogen. Der Grund: die Israelfeindlichkeit großer Teile der Linken in Deutschland, die für Seibert teils antisemitische Züge hatte.
Auch der lange Jahre in Zürich lebende Klaus Rózsa hat eine bewegte politische Biografie. Vom Hausbesetzer und Mitglied der autonomen Bewegung brachte er es bis zum Vorsitzenden des Schweizer Gewerkschaftsbundes. Auch er entfremdete sich wegen der Israelfeindschaft großer Teile der Linken immer mehr von seinem politischen Umfeld. Lange Freundschaften zerbrachen. Mittlerweile lebt Rózsa in Budapest und Zürich und ist wieder in linken politischen Zusammenhängen aktiv.
Diese beiden Männer kannten sich nicht, bis sie von Johannes Spohr und Nina Röttgers zusammengebracht wurden. Letztere gehören wiederum einer jüngeren Generation von Aktivisten gegen Rassismus und Neonazismus an. Bei einem antifaschistischen Gedenkmarsch in Budapest lernten sie Klaus Rózsa kennen und kamen mit dem diskussionsfreudigen Alt-Linken ins Gespräch. Aus der Begegnung entstand eine Veranstaltungstour durch mehrere Städte, auf der die beiden Älteren über ihre allmähliche Distanzierung von einer Linken berichteten, die Israel oft nur als Vorposten des US-Imperialismus betrachtete.
Die Gespräche sind nun in einem Buch dokumentiert, das kürzlich im Neofelis-Verlag erschienen ist. Hier wird die Geschichte des linken Antisemitismus aus der Sicht von zwei linken Juden erzählt. Es ist auch eine Geschichte der persönlichen Zweifel und Brüche. Sowohl Rózsa als auch Seibert hatten über mehrere Jahre eine dezidiert antizionistische Politik mitgetragen. Die Zweifel setzten bei Seibert schon nach dem Sechstagekrieg von 1967 ein, als ein Großteil der bisher israelfreundlichen Linken ihr Herz für die palästinensische Sache entdeckte.
Dass Seibert heute wieder aktiver Teil der außerparlamentarischen Linken ist, liegt vor allem daran, dass sich dort in den letzten Jahren eine Strömung herausbildete, die sich intensiv mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Antisemitismus beschäftigte und sich mit Israel solidarisierte. Seibert, der davon gar nichts wusste, war ganz erstaunt, dass er von Menschen aus dem autonomen Block verteidigt wurde, als er auf einer Anti-Nazidemo 2008 in Hamburg wegen seiner Israelfahne angepöbelt wurde.
Dem Buch gelingt es, die Leser auf einer sehr persönlichen Ebene für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren. »Also kritisiert Israel, kritisiert Israels Regierung, aber kritisiert nicht das Dasein von Israel«, lautet der Appell, den Klaus Rózsa an die Linke richtet. Der Band führt stellenweise auch auf eine Metaebene, insofern liefert er Einblicke in Genese und Kritik dichotomer Weltbilder wie das des Antiimperialismus.
Johannes Spohr, Verheerende Bilanz: Der Antisemitismus der Linken: Klaus Rózsa und Wolfgang Seibert zwischen Abkehr, kritischer Distanz und Aktivismus, Neofelis
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