Schwindelfreie Elektriker gesucht
Warum der Windenergie-Branche Fachkräfte fehlen - ein Bericht aus Sachsen
Dieser Arbeitsplatz schwankt. Er pfeift. Und für Menschen mit Höhenangst ist er nichts. Hier, in 76 Meter Höhe, warten Eric Nilsson und Daniel Stolle ein Windrad. Die beiden sind Elektriker und prüfen dort oben - mit Haken und Seil gesichert - die Rotorblätter auf sichtbare Schäden. Weit unten wogen Gerstenfelder.
Nilsson und Stolle gehören einer gefragten Spezies an: Sie sind Fachkräfte in der Windkraft. Viele Unternehmen in der Branche suchen nach Menschen wie ihnen. Das Einsatzgebiet der beiden Elektriker ist heute die brütend heiße Kabine der »Mühle«, wie sie das Windrad in der Nähe des nordsächsischen Delitzsch nennen. Hier müssen sie vor allem die komplizierte Elektrik in Schuss halten, die den Windstrom so umwandelt, dass er ins Netz eingespeist werden kann. Die Anforderungen an sie sind hoch: Fit müssen sie sein für den langen Senkrecht-Aufstieg im Innern des Windrads. Und fit müssen sie auch in ihrem Fachgebiet sein. »In der Regel sind die Zweierteams da oben auf sich allein gestellt und können nicht mal eben den Meister holen«, sagt ihr Chef Andreas Arens.
Arens ist Geschäftsführer der Zopf Energieanlagen GmbH, eines Leipziger Windenergie-Unternehmens, das Windräder plant, betreibt und wartet. Drei Duos wie Nilsson und Stolle beschäftigt er für die Wartung von Windrädern. Daneben sind noch vier Ingenieure an Bord, Schlosser und Monteure, insgesamt 17 Angestellte. Gute Leute aus all diesen Berufsgruppen seien schwer zu finden. »Windenergie ist ein ziemlich spezielles Thema«, sagt Arens. »Dafür gibt es keinen richtigen Ausbildungsberuf.« Seine Leute muss er sich meist aus anderen Bereichen zusammensuchen. Bis die Hochschulen ihre Lehrpläne auf die ständig neuen Anforderungen für Ingenieure abgestimmt hätten, dauere es Jahre. Um die besten Köpfe sei daher eine Art kannibalischer Wettstreit ausgebrochen, sagt Arens. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg gibt es laut dem Bundesverband zusammen mehr als 8000 Windräder. Deutschlandweit sind es mehr als 28 000, an Land und zu Wasser. Und nicht nur deren Planer und Wartungsfirmen konkurrieren um Mitarbeiter. »Mechaniker könnten auch mit Kusshand eine Anstellung im Schwermaschinen-Anlagenbau oder in der Luftfahrtindustrie bekommen«, sagt Martin Maslaton, Sprecher des Bundesverbands Windenergie für Sachsen. Die großen Unternehmen wie Siemens zögen sich teils ihren Nachwuchs selbst heran und könnten besser zahlen. »Das ist eine schwierige Konkurrenzsituation.« In Brandenburg stehen die Unternehmen der Windbranche vor allem mit der Braunkohle in der Lausitz im Wettbewerb. Dort würden deutlich höhere Löhne gezahlt, sagt Jan Hinrich Glahr, Vorsitzender des hiesigen Landesverbandes. »Das macht es schwer, Bewerber zu interessieren.« In Thüringen sitzen neben Zulieferern zwar nur einige kleinere Projektentwickler. Doch die suchen laut Verband händeringend nach Fachleuten: In dem Bundesland wird die Windenergie gerade deutlich ausgebaut. Der große Windradbauer Enercon hat einen Standort in Magdeburg und versucht, eigene Mitarbeiter weiterzubilden, um dem Mangel von innen zu begegnen, teilt eine Sprecherin mit. Und weil die Angestellten heute nicht mehr ausschließlich aufs Gehalt setzten, versuche man, ihnen eine gute Work-Life-Balance zu bieten, also die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu verbessern.
Auch Andreas Arens in Leipzig verfolgt diese Strategie: Vor Kurzem hat er einen Porsche-Ingenieur für sein Leipziger Unternehmen gewonnen. Dem 35-jährigen Roger Reinken gefallen die Arbeitsbedingungen. Früher musste er im Schichtdienst arbeiten, jetzt hat er mehr Zeit für seine Familie. Er sei stärker gefordert als bei Porsche, sagt er. Er entwickelt unter anderem Steuerplatinen für ältere Windräder, für die es keine Ersatzteile mehr gibt. Für Fachkräfte wie Reinken ist die große Nachfrage ein Glücksfall. »Sie hat dazu geführt, dass nach und nach das Lohnniveau gestiegen ist«, sagt Wolfram Axthelm, der für den Verband Windenergie die gesamtdeutsche Lage im Blick behält. Probleme hätten viele Mittelständler in der Branche vor allem, weil sie nicht im großstädtischen Raum angesiedelt seien. Andreas Arens von der Firma Zopf kennt das. Sein Unternehmen hat auch in der brandenburgischen Prignitz einen Standort. »Da ist es extrem schwer, entsprechendes Personal zu finden.« Es gebe dort sehr viele Windräder, aber nur wenige Menschen. In Leipzig ist das leichter. Auch der KfZ-Elektriker Nilsson ist recht neu bei Zopf. Dass er mal auf Windräder kraxeln würde, hätte er damals bei seiner Ausbildung nicht gedacht. »Elektriker lernt man eigentlich, um am Boden zu bleiben und dort zu arbeiten«, sagt er. Daraus ist nichts geworden. Als Hobbykletterer bedauert er das nicht. dpa/nd
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