Krieg und Frieden im Amtsgericht

Militärgegner aus der Colbitz-Letzlinger Heide wurde wegen Protest auf Bundeswehrgelände in Bonn verurteilt

  • Hendrik Lasch, Bonn
  • Lesedauer: 6 Min.

Die große Frage von Krieg und Frieden kommt im Amtsgericht Bonn kurz vor dem Wochenende auf den Tisch. Im Foyer rückt die Putzkolonne an; ein Beamter schließt ein Dienstzimmer nach dem nächsten ab. In Saal 2.09 indes appelliert Malte Fröhlich wortreich an die Courage von Richterin Tanja Gleesner. Sie solle »Mut« aufbringen, sagt er: Ihn freisprechen – und die Bundesregierung wegen der Vorbereitung eines Angriffskrieges anzeigen. Kleiner geht es nicht, auch nicht kurz vor Feierabend.

Eigentlich sitzt Fröhlich wegen einer bloßen Ordnungswidrigkeit vor Gleesner. Er hat ein Schild missachtet, ähnlich wie ein Temposünder; er ist herumgelaufen, wo er nicht hätte hingehen sollen. Bei dem Areal handelt es sich allerdings nicht um eine private Wiese, sondern um den Bundeswehr-Übungsplatz in der Colbitz-Letzlinger Heide: 23 000 Hektar groß und letzte Trainingsstation für alle Soldaten der Bundeswehr, die in Auslandseinsätze gehen – auf Missionen, die Fröhlich und seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative Offene Heide als »Angriffskriege« ansehen.

Solche sind laut Charta der Vereinten Nationen untersagt, betont der Kriegsgegner in einer sechs eng bedruckte Seiten umfassenden Verteidigungsrede. Und da Artikel 25 Grundgesetz alle Bundesbürger in die Pflicht nehme zur Wahrung des Völkerrechts, habe er aktiv werden müssen: »Was wäre ich, wenn ich diesen Rechtsbruch der Bundesregierung, von Bundeswehr und Justiz unwidersprochen lassen würde?!«

Fröhlich hat also etwas unternommen. In der Nacht zum 1. August 2015 lief er mit Gleichgesinnten über den Übungsplatz. Zu der Zeit fand in der Altmark das inzwischen alljährliche Protestcamp »War starts here« statt, bei dem über die Aktivitäten der Bundeswehr informiert, aber auch zu Aktionen zivilen Ungehorsams aufgerufen wird. Weil unklar war, wann sie genau stattfänden, ließ die Bundeswehr den Übungsbetrieb ruhen – immerhin eine Woche lang. »Ein Riesenerfolg!«, sagt Fröhlich.

Im Morgengrauen wurde die Truppe von Feldjägern aufgegriffen. Es gab Anzeigen nach Paragraf 114 des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Er ahndet das Betreten militärischer Anlagen, die »aus Sicherheitsgründen zur Erfüllung dienstlicher Angelegenheiten der Bundeswehr gesperrt« sind.
Seither müssen sich Aktivisten der BI regelmäßig auf den Weg nach Bonn machen, wo die Bundeswehr ihren Gerichtsstand hat. Es sind lange Fahrten, deren Anlass unerquicklicher ist als der einer Reise am 1. September 2016. Damals wurde die »Offene Heide« in Aachen mit dem Friedenspreis gewürdigt. Sie erhielt die Auszeichnung für »Beharrlichkeit und Mut (…) zu immer wiederkehrendem zivilem Ungehorsam«. Zudem gehe der Umstand, dass sich die Bundeswehr in der Altmark auf Kriege vorbereite, alle Bundesbürger an. Was die Aktivisten aus Sachsen-Anhalt dagegen an Widerstand leisten, das leisteten sie »stellvertretend für uns alle«.

Die Preisverleihung – es war die erste für die Initiative in den 23 Jahren ihrer Existenz – fand einige Beachtung. Die Prozesse gegen ihre Mitglieder – der gegen Fröhlich ist schon der zehnte allein in diesem Jahr – stoßen auf weit weniger Resonanz, trotz der regelmäßigen Mahnwachen vor dem Bonner Gerichtsgebäude. Immerhin: Unter dem guten Dutzend Zuschauer im Amtsgericht sind auch ein paar Friedensfreunde aus der früheren Bundeshauptstadt. Für Fröhlich ist das Gebäude eine fast schon vertraute Umgebung. Der 50-jährige Bildhauer, der Spielplätze aus Holz entwirft und baut, wurde bereits zweimal wegen gleicher Delikte zu je 100 Euro verdonnert, zuletzt im November 2014 – von Richterin Gleesner in Bonn. Damals ging es um eine Aktion bei einem der Friedenswege, die es seit Herbst 1993 in jedem Monat gibt und von denen am gestrigen Sonntag die 289. Auflage stattfand.

Die Richterin kennt also den Delinquenten. Trotzdem scheint sie verblüfft von der offensiven Taktik, mit der dieser auf die Vorwürfe reagiert. Er räume das Betreten ein?, fragt sie. »Unbedingt«, erklärt Fröhlich. Er habe die Sperrschilder gesehen?, setzt sie nach. Selbstverständlich, erwidert der Angeklagte. Aber derlei Schilder »könnten auch an einem Terrorcamp von al Qaida hängen«, ergänzt der Pazifist, der zudem beharrlich vom »Kriegsministerium« spricht und der Justiz »Rechtsbruch« vorwirft.

Diese verurteile Kriegsgegner wie ihn wegen Betretens des Übungsplatzes, sie gehe aber nicht juristisch gegen die dort stattfindenden Aktivitäten vor, die nach Ansicht Fröhlichs gegen Artikel 26 des Grundgesetzes und das dort verankerte Verbot von Angriffskriegen verstoßen. »Das ist Strafvereitelung«, sagt der Angeklagte. Die Richterin blättert nervös im Gesetzbuch und droht eine Anzeige wegen Verleumdung an. Er bitte sogar darum, erwidert Fröhlich: »Formulieren sie das als Anzeige!«

Fröhlich folgt nicht schlicht der alten Regel, wonach Angriff die beste Verteidigung ist. Die Aktivisten der Offenen Heide versuchen vielmehr, das Thema aus der Ecke der banalen Ordnungswidrigkeiten herauszuholen und grundsätzlich juristisch klären zu lassen: Ist das, wofür in der Heide und in der 140 Millionen Euro teuren Übungsstadt Schnöggersburg geübt wird, tatsächlich eine »dienstliche Aufgabe« der Bundeswehr? Seiner Auffassung nach, sagt der 1999 aus Protest gegen deren Ja zu Kriegseinsätzen bei den Grünen ausgetretene Fröhlich, gehe es bei Auslandseinsätzen vielmehr um »schwerste Straftaten«, die für die Menschen in Ländern wie Afghanistan Leid und Tod bringen und mitverantwortlich sind für die stetige Ausbreitung des Terrors. Die Richterin solle das anerkennen, bittet er – und damit »in Opposition zur derzeit herrschenden Gewaltpolitik« treten.

Es ist viel verlangt von einer Amtsrichterin an einem Freitag nach eins. Fröhlich habe ein »hehres Ziel«, räumt Gleesner ein: »Dass sie für den Frieden sind, ist gut.« Aber geht es denn nicht auch ohne Ordnungswidrigkeiten? Mit Demonstrationen zum Beispiel, oder mit Leserbriefen? Fröhlich winkt ab. Er berichtet, wie die Initiative sich auf den Sachsen-Anhalt-Tag vorbereitete, der kürzlich in Eisleben stattfand. Sie hatte einen Festwagen vorbereitet, der in Anlehnung an Luther das Motto trug: »Thesen statt Prothesen«.

Nur Tage vor dem Fest luden die Organisatoren die »Offene Heide« aus – es war die vierte Absage bei einem solchen Landesfest. Der Beitrag sei zu politisch, erfuhr die Initiative. Derweil, klagt Fröhlich, habe die Bundeswehr beim Sachsen-Anhalt-Tag in einem ganzen Straßenzug für ihre Version »gewaltsamer Konfliktbearbeitung« werben dürfen. Der »Militarismus«, fügt er an, dringe immer weiter in die Gesellschaft vor; Gegenstimmen fänden in der Öffentlichkeit kein Gehör. Die große Frage von Krieg und Frieden, sie wird kaum noch grundsätzlich diskutiert.

Es ist auch an diesem Freitag nicht anders. Gleesner erträgt mit säuerlicher Miene das weitschweifige Plädoyer von Fröhlichs Rechtsbeistand, blättert dann noch kurz im Gesetz und verkündet kurz vor fünf ihr Urteil: 400 Euro Geldbuße wegen des »vorsätzlichen und unbefugten Betretens« des Übungsgeländes der Bundeswehr. Es komme ihr bei dem Richterspruch nur darauf an, dass die Fläche von der Armee gesperrt worden sei und Schilder darauf hingewiesen hätten, sagt die Richterin. Wie das Gelände genutzt werde – »das zu hinterfragen ist nicht meine Aufgabe« sagt Gleesner. Sie weist noch darauf hin, dass eine Beschwerde beim Oberlandesgericht möglich ist. Dann ist Feierabend.

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