Der gute Mensch von Bottrop

Mehrere tausend Patienten könnten von unterdosierten Krebsmedikamenten betroffen sein

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwar sitzt der Inhaber der »Alten Apotheke« von Bottrop, Peter S. seit November 2016 in Untersuchungshaft, aber viele Bürger der Stadt erinnern sich an seine wiederholten Spenden - unter anderem für die Flüchtlingsarbeit und an ein Hospiz. Er organisierte auch Sponsorenläufe für krebskranke Kinder, gab also etwas von seinem Wohlstand zurück. Jetzt wachsen die Zweifel daran, dass Peter S. nur ein guter Bürger und ein erfolgreicher und wohltätiger Apotheker war.

Der 46-jährige Pharmazeut stellte Infusionen für Krebskranke her. Diese Medikamente, darunter Chemotherapeutika und Tumor-Antikörpertherapien, müssen per Infusion aufgenommen werden. Die Lösungen werden in spezialisierten Apotheken zubereitet, die dazu Reinräume vorhalten. Darin wird in Schutzkleidung und an Werkbänken gearbeitet, bei denen noch einmal eine Glasscheibe für die Abschirmung vor jeglicher Verunreinigung sorgt. In der Bundesrepublik existieren etwa 250 derartig spezialisierte Apotheken mit Reinraumlaboren. Sie teilen sich das ertragreiche Geschäft mit der Zubereitung der nur kurz haltbaren Medikamentenlösungen.

Der Inhaber der »Alten Apotheke« in Bottrop, Peter S. hat vermutlich seit einigen Jahren systematisch Krankenkassen betrogen, indem er unterdosierte Krebsmedikamente oder sogar Infusionen ohne jeden Wirkstoff auslieferte, diese aber regulär abrechnete. Inwieweit dabei Patienten zu Schaden kamen, ist im Nachhinein schwer nachweisbar. Einzelheiten wurden bisher vor allem vom Recherchezentrum correctiv und dem ARD-Magazin Panorama publiziert.

Die Tatsache, dass viele Onkologika nur eine kurze Lebenszeitverlängerung, aber keine Heilung bewirken können, ermutigte Peter S. vermutlich, dieses Geschäftsmodell zu verfolgen. Das Ganze mutet wie eine Art äußerst zynische randomisierte Doppelblind-Großstudie an. Randomisiert bedeutet, dass die Studienteilnehmer per Zufall verschiedenen Gruppen zugeteilt werden - die einen erhalten das zu prüfende Medikament, die anderen nur ein Placebo. Bisher weiß die Staatsanwaltschaft nicht, nach welchem System Peter S. vorgegangen ist, ob er Patienten nach Geschlecht oder Alter, nach den Wochentagen der Auslieferung oder anders bevorzugte oder benachteiligte. Der Apotheker selbst schweigt zu den Vorwürfen. Doppelblind bedeutet auch in diesem kriminellen Zusammenhang, dass weder Arzt noch Patient wissen, ob Placebo oder Wirkstoff verabreicht wurden. In Bottrop wusste nach bisherigem Stand nur Peter S. Genaueres.

Auf die Spur gekommen sind ihm die eigenen Mitarbeiter. Verdacht geschöpft hatten sie wohl schon länger - Peter S. schloss sie immer wieder aus dem Reinraum aus, das eigentlich übliche Vier-Augen-Prinzip wurde unterlaufen. Dass er in Straßenkleidung und mit seinem Hund die Laborräume betrat, weist ebenfalls darauf hin, dass er die Regeln nicht sonderlich ernst nahm; möglicherweise deklarierte er Kochsalz- und Glukoselösungen nur um. Ohne die vorgeschriebene Sterilität gefährdete S. zusätzlich auch Patienten, die mit korrekten Infusionen versorgt wurden.

Eine pharmazeutisch-technische Assistentin brachte irgendwann eine nicht benötigte Infusion nicht wie üblich zur Apotheke zurück, sondern zur Polizei. Für sie wies einiges daraufhin, dass der Beutel wirkstofffrei war. Sie hatte sich nicht getäuscht. Daraufhin wurden 100 Infusionen in der Apotheke beschlagnahmt. Zur Aufklärung trug auch der kaufmännische Leiter der Apotheke bei, der für fünf Wirkstoffe die Differenz zwischen eingekauften Medikamenten und gelieferten Lösungen errechnete. Allein für einen der Wirkstoffe betrug der Gewinn 615 000 Euro statt der legalen 34 000 Euro. Inzwischen geht es in den Ermittlungen um 50 Wirkstoffe in über 40 000 Fällen seit 2012.

Die Boulevardpresse interessierte sich bislang vor allem im Detail für die 1000-Quadratmeter-Villa des Apothekers, die dieser allein mit seinem Retriever bewohnt. Interessanter erscheint, dass Peter S. in den letzten Jahren wirtschaftlich expandierte. Er kaufte Häuser in der Umgebung seiner Apotheke, die er wiederum an Arztpraxen und Therapeuten vermietete. Diese firmieren seit 2015 unter dem Logo »MediCity Bottrop - Weil Gesundheit ein Geschenk ist«.

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