Das Giftwasser von »Werk Tanne«

Umweltschützer wollen mehr Tempo bei der Sanierung von Rüstungsaltlasten im Harz

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Harz kommt die Suche nach Rüstungsaltlasten aus der NS-Zeit und die Sanierung der betroffenen Flächen nur schleppend voran. Nachdem im westlichen Teil des Mittelgebirges in den vergangenen Jahren immerhin zwei Teiche bei Clausthal-Zellfeld saniert wurden, will der zuständige niedersächsische Landkreis Goslar nun in diesem Jahr noch mit der Untersuchung weiterer Verdachtsflächen beginnen. Umweltschützer bemängeln, dass die Behörden das Thema viel zu lange verdrängt hätten und tatenlos geblieben seien.

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nazis hatten deren Planungen für einen massiven Ausbau der Spreng- und Kampfstoffproduktion in Deutschland begonnen. Bereits Anfang 1934 hielten Experten im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten Gelände für eine Trinitrotoluol-Fabrik. Sie wurden auf einem Hochplateau zwischen Clausthal-Zellerfeld und Altenau fündig, wo alle erforderlichen Rahmenbedingungen wie Verkehrsanbindungen, Strom- und Wasserversorgung und Tarnung erfüllt waren. Dort entstand das heute unter seinem Tarnnamen bekannte »Werk Tanne« für die TNT-Produktion.

Ende 1936 war die Sprengstofffabrik bereits fertig gebaut. Wie viele andere Produktionsstätten für Waffen und Munition war auch »Werk Tanne« ein sogenanntes Schlafwerk - es wurde nach seiner Fertigstellung zunächst »eingemottet«, um dann kurz vor dem Überfall auf Polen den Betrieb aufzunehmen. Neben der Herstellung von monatlich bis zu 2500 Tonnen TNT, wurden in der Fabrik auch angelieferte Sprengstoffe in Bomben, Minen und Granaten abgefüllt. Ein wichtiger dritter Bereich war die Sprengstoffaufbereitung aus Fehlchargen und Beutemunition.

Reste der Sprengstoffe und ihre hochgiftigen, teils Krebs erregenden Abbauprodukte fänden sich bis heute im Grundwasser und belasteten die Umwelt, sagte der Geologe Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Sogar im Wasser des rund zehn Kilometer entfernten 13 Lachter-Stollens bei Wildemann und des noch weiter entfernten Ernst August-Stollens bei Gittelde konnten Umweltschützer das Gift aus dem »Werk Tanne« nachweisen. »Die Abwässer waren so giftig, dass eine Abwasserleitung des Werks bis nach Osterode ging, wo die Giftstoffe einst in Schluckbrunnen bei Petershütte versenkt wurden«, erklärt Knolle. Wohin sie von dort unterirdisch flossen, habe nie geklärt werden können.

Heute ist das ehemalige Werksgelände zum größten Teil bewaldet. Es gehört der Immobiliengesellschaft IVG mit Sitz in Bonn. Die Firma ging aus der bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft hervor. Der größte Teil Fläche ist wegen der Altlasten immer noch nicht frei zugänglich. Der Landkreis Goslar sieht keine Gefahr für die Bevölkerung und verweist auf ein kürzlich angelegtes Becken, das belastetes Sickerwasser schließlich zurückhalte und reinige. Bei Starkregen reiche das zwar nicht aus, räumt die Bodenschutzbehörde des Kreises ein. Deshalb sollen nun aber eine Pflanzenkläranlage und weitere Pufferbecken gebaut werden.

Doch Knolle warnt: Die Gifte seien bereits weiträumig in die Nachbarlandkreise bis nach Göttingen und nach Hannover verteilt worden. »Deswegen sind wir unzufrieden, dass sich am ›Werk Tanne‹ so wenig tut.«

Dringenden Handlungsbedarf sieht der BUND auch beim Werk Kiefer in Herzberg. Auch hier sickerten Giftstoffe aus der Sprengstoff-Abfüllung in den Untergrund und verteilten sich im Grundwasser. Bevor im April 1945 eine verheerende Explosion das Ende der Fabrik besiegelte, wurde dort flüssiges TNT in Tellerminen und Granaten gefüllt. Das Areal am Fuß des berühmten Herzberger Fachwerkschlosses ist mit einem Zaun abgesperrt. Aber der, stellt Geologe Knolle fest, »hält die Schadstoffe nicht zurück«.

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