G20 auf der Reeperbahn: Hausverbot für Trump und Putin
»Die Wut ist sehr groß«: Gipfel-Kritik im linksliberalem Kiez / Mit mehr Andrang im Vergügungsviertel rechnet hier kaum jemand
Das funkelnde Lichtermeer aus bunten, blinkenden Leuchtreklamen und grellen, verheißungsvollen Schriftzügen ist nur wenige hundert Meter entfernt. Von der Sicherheitszone, die für den bevorstehenden G20-Gipfel in Hamburg eingerichtet wurde. Unermüdlich will die Reeperbahn auf einem Kilometer Länge Besucher anlocken: ob mit Live-Musik, billigen Drinks oder schnellem Sex. Feierwütige bahnen sich auf der Suche nach der besten Location für den Abend den Weg, vorbei an schnorrenden Punkern, betrunkenen Obdachlosen und Prostitutierten, die am Straßenrand auf Kundschaft warten. Herrscht Sonderkonjunktur die ganze Nacht wegen des Gipfels?
»Mit mehr Andrang rechne ich nicht«, winkt der Geschäftsführer der Table-Dance-Bar »Dollhouse« in der Großen Freiheit ab. Freitag und Samstag sind hier eigentlich die Haupteinnahmetage. »Wir hoffen, dass die Gäste überhaupt zu uns kommen«, sagt Christian Fong. Durch die Absperrungen der Polizei, Einschränkungen im Straßenverkehr und möglichen Blockaden von Demonstranten könnten sie daran gehindert werden. Selbst hat er bislang auch keine speziellen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Auch auf der Reeperbahn ist die verstärkte Polizeipräsenz zu spüren.
Die Reeperbahn und ihre Nebenstraßen sind nicht nur Vergnügungsviertel, sondern auch Heimat für viele Hamburger. Die meisten Anwohner des traditionell links-liberal geprägten Stadtteils St. Pauli sehen dem bevorstehenden Gipfel mit Argwohn entgegen. »Die Wut ist sehr groß«, sagt Matze, der in der angrenzenden Talstraße wohnt. Hier leide man so schon unter den vielen anderen Großveranstaltungen. »Seit Wochen patrouilliert bereits die Polizei. Als Anwohner fühlt man sich massiv in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt«, erklärt der 53-Jährige.
Auch viele Bar- und Clubbetreiber teilen die Kritik am Austragungsort, am Gipfel selbst oder seinen Teilnehmern. Die bekannte Dragqueen Olivia Jones etwa hat in ihrer Bar bereits vorsorglich ein Hausverbot für Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin verhängt. Sie hat ein eigenes Verbotsschild entworfen, welches die Nachbarn gerne von ihrer Webseite runterladen und an ihrer Tür anbringen könnten. Auf dem Schild steht: »Keine Toleranz gegenüber Intoleranz«.
In der legendären Kneipe »Zur Ritze« sieht man den Gipfeltagen entspannt entgegen. Man werde wie gewohnt öffnen. »Wir sind Schlimmeres gewohnt«, lacht die Bardame. Weniger gelassen ist hingegen die Stimmung im »Quer Club« auf dem angrenzenden Hans-Albers-Platz. »Wir werden unseren Laden vermutlich an beiden Tagen schließen«, sagt ein Mitarbeiter. Der »Non Stop Shop«-Kiosk hat sein Sicherheitspersonal aufgestockt.
Auch in den einschlägigen Bordellen rechnet man nicht mit mehr Andrang. »Vielleicht wird es sogar eher ruhiger«, erklärt Thomas Eitner, Geschäftsführer des »Pink Palace«-Laufhauses. Er meint, dass viele Touristen Hamburg an diesem Wochenende eher meiden. Und die ganzen Demonstranten seien ja keine typischen Kiezgänger. Setzt sich vielleicht der ein oder andere Delegierte nach Feierabend auf der Amüsiermeile ab? »Ich glaube, dass die eher in die gehobenen Nachtclubs gehen, wo sie auch ihren Champagner schlürfen können« schätzt Eitner.
Quartiersmanagerin Julia Staron hofft zwar auf friedliche Menschen, befürchtet aber auch Ausschreitungen. Bereits seit etlichen Tagen gibt es daher verstärkte Sicherheitsvorkehrungen: Das Klubhaus St. Pauli wird seine ansonsten leuchtende Fassade ausschalten, andere Geschäfte sichern ihre Glasfronten, manche bleiben auch komplett geschlossen. dpa/nd
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