Erdogan gibt kein Pardon
Repression in der Türkei nach innen wie nach außen
Während sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf staatsmännische Begegnungen auf dem Hanburger Gipfel vorbereitet, läuft der Einschüchterungs- und Repressionsprozess gegen zu Feinden erklärte Bürger unaufhörlich weiter - im Inland, aber selbst außerhalb der türkischen Grenzen.
Gegen fast alle Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) laufen Ermittlungsverfahren.« Seit Dienstag steht auch Figen Yüksekdağ, Ko-Vorsitzende der HDP, in Ankara vor Gericht. Die Vorwürfe sind nicht von Pappe: Gründung und Leitung einer Terrororganisation und Terrorpropaganda. Was hat die Vorsitzende einer im Parlament vertreten Partei getan, um solcher Ungeheuerlichketen beschuldigt zu werden? Sie hat Reden gehalten, im Parlament und auf der Straße, aber stets öffentlich. Jedenfalls beziehen sich die Anklagevertreter laut dem Fernsehsender CNN Türk auf nichts, was im Klandestinen stattgefunden habe.
In der Türkei weiß natürlich jeder, worum es geht. Yüksekdağ hat wie viele andere auch außerhalb der HDP gefordert, die Friedensverhandlungen mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wieder aufzunehmen und vor allem den kriegerischen Terror gegen die Bevölkerung ganzer Provinzen, den überwiegend kurdischen, im Südosten zu beenden.
Yüksekdağ war bereits im November zusammen mit ihrem Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas festgenommen worden. Im Februar wurde ihr auch der Parlamentssitz aberkannt. Da sie nicht in der Lage war, ihr Abgeordnetenmandat auszuüben, gab sie das Parteiamt vorläufig auf. »Es ist furchtbar, ansehen zu müssen, wie die Demokratie in der Türkei mehr und mehr zerstört wird und wie tatenlos sich gleichzeitig die Bundesregierung demgegenüber verhält«, hatte am Montag Dietmar Bartsch, LINKE-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, dazu erklärt. Bartsch hat im Rahmen des Bundestagsprogramms »Parlamentarier schützen Parlamentarier« die Patenschaft für die HDP-Politikerin Yüksekdağ aus der Türkei übernommen.
Die größte Oppositionskraft im türkischen Parlament, die Republikanische Volkspartei (CHP), hat sich nach einigem Zögern dafür entschieden, sich beim Feldzug Erdogans gegen das eigene Volk nicht tatenlos oder gar zustimmend zu verhalten. Seit Ende Juni bewegt sich der von ihr initiierte 400-Kilometer-Marsch, in Istanbul begonnen, auf die Hauptstadt Ankara zu. Angesichts der Repressalien, die die Teilnehmer zu gewärtigen haben - Erdogans Geheimpolizei läuft immer mit - gibt es eine große Resonanz.
Erdogans Geheime sollen auch in Deutschland verstärkt unterwegs sein, derzeit vornehmlich um exilierte Militärangehörige auszuhorchen und eventuell umzudrehen. Darüber berichtete am Mittwoch der NDR. Es heißt, die türkische Regierung wolle wissen, wo Flüchtlinge heute wohnen und ob sie in Kontakt zu Medien stehen.
Am Mittwochnachmittag debattierte das Europaparlament über den sogenannten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Türkei, in dem Ankara gravierende Mängel bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen werden. In einem Resolutionsentwurf wird eine formale Suspendierung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gefordert, sollte Ankara die Verfassungsreform ohne Änderungen umsetzen. Die Reform war in einem Referendum von einer knappen Mehrheit gebilligt worden. Bereits im vergangenen November hatte das EU-Parlament ein »Einfrieren« der Gespräche gefordert. Kommentar Seite 4
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