Daten-Projekt: Beeinflusst Google die Bundestagswahl?
Wissenschaftler wollen zur Bundestagswahl mithilfe von Freiwilligen Daten sammeln
Welche Themen werden Internetnutzern zur Bundestagswahl angezeigt? Dominieren einzelne Parteien oder Politiker in den Suchergebnissen von Google? Diese Fragen wollen die Forscher von AlgorithmWatch mithilfe von Nutzern untersuchen. Bei dem Crowdsourcing-Projekt sollen Freiwillige per »Datenspende« den Forschern Daten übermitteln, welche Suchergebnisse Google ihnen anzeigt.
Dazu stellt das Projekt eine Browser-Erweiterung für die Browser Chrome und Firefox bereit. Nach der Installation des Plugins sucht dieses dann automatisch – sobald der Rechner angeschaltet ist und der Browser geöffnet ist – alle vier Stunden auf Google und Google News nach den Namen von allen großen Parteien und ihren Spitzenkandidaten. Anschließend werden die Suchergebnisse zu dieser festgelegten Liste von 16 Personen und Parteien an das Projekt gesendet, anonym versteht sich. Bei dem Projekt kooperiert AlgorithmWatch mit den Landesmedienanstalten Bayern, Berlin-Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen. Sie finanzieren das Projekt.
»Wie beeinflussen uns eigentlich Algorithmen?« sei die Frage hinter dem Projekt, erklärt Dr. Katharina Anna Zweig. Die Informatik-Professorin an der Universität Kaiserslautern forscht zu den Computer-Codes. Doch auch die Informatik-Professorin Zweig kann die Frage nicht beantworten, weil die meisten Algorithmen von Softwarefirmen als Geschäftsgeheimnisse gehütet werden und nur wenige Details ihrer Funktionsweise bekannt sind.
Dabei bestimmen Algorithmen – also automatisierte Handlungsvorschriften in Computerprogrammen - mittlerweile viele Aspekte unseres digitalen Lebens. Welche Beiträge von »Freunden« oder Facebook-Seiten, die wir mit einem »Like« markiert haben, uns in der Facebook Timeline angezeigt wird regelt ein solcher Algorithmus. Über den ist nur weniges bekannt, etwa das Facebook dem Nutzer bevorzugt Beiträge anzeigt, die ihm gefallen, um den einzelnen Nutzer so länger auf der Seite zu halten.
Auch über den Algorithmus hinter Googlesuchen ist nur wenig bekannt, teilweise zu Recht, denn der Suchmaschinenbetreiber will nicht, dass etwa Unternehmen oder Einzelpersonen durch technische Tricks ihre Beiträge möglichst weit oben in den Suchergebnissen platzieren können, möglicherweise unabhängig von der Relevanz des Inhaltes für den Suchenden. Genau das probieren etwa Medienhäuser mittel SEO – der Suchmaschinenoptimierung ihrer Artikel.
Doch umgekehrt beeinflusst auch Google selbst mit seinem Algorithmus die Darstellung von Suchergebnissen. Etwa, wenn Google das eigene Preisvergleichsportal bevorzugt anzeigt und andere Preisvergleichsportale weiter unten in der Liste der Suchergebnisse landen. Wegen dieser Praxis hat die EU-Kommission den Internetkonzern vor kurzem zur Zahlung einer Rekordstrafe in Milliardenhöhe wegen Wettbewerbsverzerrung verurteilt.
Doch beeinflusst Google seine Nutzer auch politisch? Ist Google wie Facebook ein Teil der »Echokammer« der sozialen Medien, die Nutzern nur das anzeigt, was sie sehen wollen und damit zur politischen Polarisierung beiträgt, eben weil etwa ein AfD-Anhänger, durch das was er auf Facebook sieht seine Weltsicht immer wieder bestätigt bekommt?
Der Internetkonzern selber sagt Google personalisiere die Darstellung von Nachrichtenartikeln nicht. Mit AlgorithmWatch wolle man überprüfen, ob Google und Google News dies tatsächlich nicht tun, sagt Computerforscherin Zweig. Sie sieht das Projekt nicht als Misstrauensvotum gegen Google, sondern als Beitrag dazu, »wie wir als Gesellschaft allgemein Algorithmen kontrollieren können, die Öffentlichkeit herstellen und beeinflussen«. Mit dem Projekt wolle man »einen kleinen Teil des Schleiers lüften«.
Die Datensammlung könnte Fragen beantworten wie »Sehe ich andere Nachrichten als ein Linker und Grüner?« und »Wie stark ist die Quellenvielfalt?«, so Zweig. Doch mit den gesammelten Daten können auch brisantere tagesaktuelle Fragen geklärt werden, etwa ob durch Interessengruppen oder auch bestimmte Medienportale im Inland oder etwa Blogs aus dem Ausland »bestimmte Themen nach oben gespült werden«.
Im US-Wahlkampf etwa hatten die Republikaner kontinuierlich angebliche Verfehlungen Hillary Clintons bezüglich der Verwendung private E-Mailserver als Außenministerin zum Thema gemacht sowie die Aufnahme von Ermittlungen dazu durch FBI-Chef James Comey. Und womöglich könnte das Projekt auch Hinweise in der schwelenden Debatte über die Beeinflussung von Wahlen aus dem Ausland Hinweise liefern. In Frankreich etwa hatte das russische Nachrichtenportal Sputnik News vor der Präsidentschaftswahl Nachrichten über die angebliche Homosexualität Emmanuel Macrons verbreitet - auch wenn die Macher des Projekts den Namen »Russland« ausdrücklich nicht erwähnen.
Das die Wahlen in Deutschland durch Google News oder das gezielte »Pushen« gewisser Themen entscheidend beeinflusst werden kann, glaubt Informatik-Professorin Zweig übrigens nicht. Zwar laufen in Deutschland 90 Prozent aller Internetsuchen über Google. Doch weil der Medienmix in Deutschland stark sei, weil viele Menschen ihre News auch über Radio und gedruckte Tageszeitungen erhalten, gäbe es aktuell wenig Spielraum für wirksame Online-Manipulation mittels Algorithmen. »Trotzdem muss die Gesellschaft darauf vorbereitet sein, dass eine so dominante Plattform in Zukunft dazu fähig ist«, sagt Zweig.
Praktisch soll der Einsatz des AlgorithmWatch Plugins auf den Rechnern der Freiwilligen folgendermaßen ablaufen: Nach einer Vorwarnung der Nutzer, öffnet sich ein kleines Fenster, in dem die Suchanfrage automatisch läuft. Jede Suchanfrage erzeugt dann im Durchschnitt 12 Links zu Suchergebnissen. Bei 16 Suchanfragen für Politiker wie Angela Merkel und Parteien wie die AfD jeweils für Google News und Google sind das etwa 650 Links alle vier Stunden. Wenn ein Teilnehmer seinen Computer zwei Mal am Tag, etwa morgens und Abends benutzt, spendet er damit 1200 Links. 1000 Teilnehmer will das Projekt mindestens gewinnen. Wenn diese Zielmarke erreicht wird, werden pro Tag 1 Millionen Links »gespendet«. Bis zum Ende des Projekts 70 Tage später könnte dann ein öffentlich verfügbarer Datensatz mit insgesamt 50-100 Millionen Links vorliegen, rechnet Lorenz Matzat der Firma »Lokaler«, die das Plugin programmiert hat, vor.
Die Macher ermutigen ausdrücklich auch User teilzunehmen, die kein Google-Konto haben und versuchen, wenig Spuren im Internet zu hinterlassen. Bei ihnen ist eine eventuelle Personalisierung der Suchergebnisse schwierig, doch um das zu überprüfen sind sie als Kontrollgruppe gefragt.
Bis kurz nach der Bundestagswahl sollen die Daten über die Suchanfragen gesammelt werden. Anfang 2018 soll eine abschließende Auswertung vorgelegt werden, doch bereits vorher sollen die Daten in einem täglich aktualisierten Datensatz jedermann öffentlich zugänglich sein.
Datenschutz ist den Machern von AlgorithmWatch wichtig: Bei der Datenübermittlung werden die sonstigen Googlesuchen der Nutzer nicht gespeichert. Es werden keine personenbezogenen Daten erhoben, sondern jedem Teilnehmer eine anonymisierte Identifikationsnummer zugewiesen. Mit der IP-Adresse seines Rechners wird nur ein ungefährer Standort des Nutzers übermittelt. Damit kann geklärt werden, ob etwa Nutzer in Sachsen besonders viele Beiträge zur CDU angezeigt bekommen, oder die in Hamburg überdurchschnittlich oft welche zur SPD. In den veröffentlichten Daten sollen aber auch die anonymen Identifikationsnummern der einzelnen User fehlen, damit einzelne Nutzer nicht doch mithilfe weiteren Daten doch noch deanonymisiert werden können. Auch beim Programm selber setzten die Macher auf Transparenz: Der Programmcode des Plugins soll veröffentlicht werden.
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