Auf die Straße gehen
In Indien versuchen Gewerkschaften mit neuen Konzepten, den informellen Sektor zu organisieren
Union Power steht auf dem Transparent, eine geballte Faust ist neben dem Schriftzug zu sehen und darunter sitzt Ashim Roy lächelnd auf dem Podium. Das Foto von der Gründungskonferenz der New Trade Union Initiative aus dem Jahr 2001 ist auf der Homepage der branchenübergreifenden Gewerkschaft zu sehen und für Roy ist das eine schöne Erinnerung. »Wir haben heute eine Million Mitglieder in einer ganzen Reihe von Gewerkschaften und an Kraft gewonnen« erklärt der 60-jährige schlanke Inder lächelnd.
Roy ist einer der Vize-Vorsitzenden der Gewerkschaft aus New Dehli, die darauf achtet, sich politisch von keiner Partei instrumentalisieren zu lassen. Das hat es in der Vergangenheit in Indien immer wieder gegeben und das ist ein Grund, weshalb die Gewerkschaftsbewegung nicht nur in Indien, sondern weltweit geschwächt ist. »Wir brauchen neue Konzepte, neue Widerstands- und Organisationsformen. Auf nationaler wie auf internationaler Ebene«, erklärt Roy, der für fünf Tage nach Hamburg gekommen ist, um sich auf dem »Gipfel der Solidarität«, dem Alternativgipfel zum G20-Treffen, auszutauschen. Mit argentinischen, französischen und deutschen Gewerkschafter*innen, mit denen er bei einer Veranstaltung auf dem Podium saß, aber eben auch mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, politischen Stiftungen und sozialen Aktivisten. »Ich freue mich auf die Demo am Samstag und ich bin sehr gespannt, wie die Polizei sich letztlich verhalten wird«, erklärt der auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Hamburg gekommene Gewerkschafter.
Auch in Indien agieren die staatlichen Sicherheitsorgane oft nicht im Sinne der sozialen Bewegungen. Für Roy ein Grund, die Organisationsarbeit zu intensivieren und Allianzen über die Grenzen hinweg zu knüpfen. So sind die Kontakte nicht nur zur Clean Clothes Campaign (CCC) exzellent, sondern auch nach Argentinien zu den Gewerkschaften der Schwerindustrie. »Unser Ziel im Textilsektor ist es, entlang der Lieferkette ein Rahmenabkommen zu entwickeln«, erklärt Roy. Mit einzelnen Unternehmen gibt es bereits Kontakte.
Doch die Gewerkschaft versucht nicht nur, die Arbeiter im formellen Bereich zu organisieren, sondern auch im informellen. 90 Prozent der Arbeitnehmer schlagen sich auf dem informellen Sektor durch - als Kleinhändler auf dem Markt, Anbieter von Dienstleistungen oder auf Baustellen. Nur zehn Prozent arbeiten ganz offiziell auf dem »ersten Arbeitsmarkt«. Um die informellen Arbeiter zu erreichen, müssen Gewerkschafter rausgehen auf die Straße, direkt ins Gespräch kommen. »Eine der großen Herausforderungen ist es, den Kontakt dann auch zu halten«, so Roy.
Er macht für die Dominanz des informellen Sektors in Indien das neoliberale Wirtschafts- und Wachstumsmodell verantwortlich, welches von Weltbank, IWF und OECD präferiert wird. Deshalb ist er nach Hamburg gekommen. Die G20 sollen mitbekommen, wie Beschäftigte die Situation auf dem Arbeitsmarkt wahrnehmen, wie sich die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse auf der anderen Seite der Unternehmensbilanzen auswirkt und dass die repressiven Strukturen, denen sich die Gewerkschaften im Süden gegenübersehen, Widerstand hervorrufen. »Deshalb ist es wichtig, Präsenz bei solchen Gipfeln zu zeigen«, erklärt Ashim Roy mit einem optimistischen Lächeln. Dabei hilft auch die besser werdende Vernetzung auf internationaler Ebene - Branchengewerkschaften wie IndustriAll oder Uni Global Union sind da wichtige Elemente.
Doch die zentrale Herausforderung für die Zukunft ist die Organisierung der informellen Arbeiter, die bis jetzt keine Stimme haben. Dafür hat die New Trade Union Initiative neue Konzepte entwickelt. Mit ver.di hat Roy bereits ein erstes Treffen gehabt. Weitere Gespräche sollen folgen, um die fünf Tage rund um den G20-Gipfel so gut wie möglich zu nutzen.
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