Das Schloss, das der Schlossherr nie sah
Was die Welfen, um die es gerade viel Hochzeits-Gewese gibt, und Mecklenburgs Schatz im Klützer Winkel verbindet
Mit Kaiser Wilhelm II. verschwanden 1918 die Privilegien des Adels aus Deutschland. Doch auch knapp 100 Jahre später genießen Menschen mit dem »Von« im Namen manchmal noch privilegierte Behandlung. So auch in Niedersachsens Landeshauptstadt. Dort wurden Welfenprinz Ernst August junior und dessen Verlobte Ekaterina Malysheva am Donnerstag nicht von irgendeinem Standesbeamten getraut, sondern von Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) höchstpersönlich.
Der Sozialdemokrat musste zuvor eine amtliche Eignungsprüfung als Trauberechtigter ablegen. Doch das ist nur ein Randgeschehen am ganzen Gewese, dass um jenes mehrtägige Hochzeitsevent gemacht wird. Mehr im Fokus des adelsinteressierten Publikums steht zurzeit ein Streit zwischen dem Bräutigam und seinem Vater, dem als »Prügelprinzen« in die Schlagzeilen geratenen Ernst August senior - und noch viel mehr die Gästeliste zum kirchlichen Trauungsakt am Samstag. Sie aber wird bislang streng geheim gehalten vom Sekretariat des Erbprinzen. Und so blieb von dort auch die Frage unbeantwortet, ob denn jemand aus dem Hause derer von Bothmer zu den rund 1000 Eingeladenen zählt.
Der Name ist nicht nur für die Welfen von besonderer Bedeutung, sondern auch für ganze eine Region im Osten. Dem 1656 als Kind niederen Landadels geborenen Hans Caspar von Bothmer ist es wesentlich zu verdanken, dass die Welfen immerhin sechs Könige von Großbritannien in ihrer Ahnenreihe aufweisen können. Zugleich geht auf ihn das mittlerweile aufwendig renovierte, der Öffentlichkeit zugängliche Schlosses Bothmer zurück. Es ist das größte erhaltene Barockensemble Mecklenburg-Vorpommerns, zu finden ist es in der Kleinstadt Klütz unweit des Ostseebades Boltenhagen. Viele Besucher erfreuen sich an der sehenswerten Anlage, die sein Schöpfer von London aus in Auftrag gab.
An der Themse erreichte Bothmer den Gipfel seiner 1682 begonnen Karriere. In jenem Jahr hatte ihn der Welfen-Kurfürst Georg Ludwig in die Residenz nach Hannover berufen: als »Hofjunker« für die Gattin des Fürsten, die Herzogin Sophie Dorothea. Sie war es, die der Fürst später verbannte wegen ihrer Liebschaft mit dem Grafen Königsmarck. Der wiederum verschwand seinerzeit spurlos, wurde vermutlich ermordet, seine Leiche vielleicht in Hannovers Schloss eigemauert, vielleicht in einen Fluss geworfen.
Als das geschah, war Hans Caspar von Bothmer schon lange nicht mehr nur Junker, sondern mit weitaus verantwortungsvolleren Aufgaben betraut worden. Als Diplomat reüssierte er in Dänemark, Schweden, Holland, Frankreich, vertrat die Interesses seines Kurfürsten später bei Hofe in Berlin, Wien und den Haag, schließlich in London.
Dort begann er, dem Welfenhaus den Weg zum britischen Königsthrone zu ebnen - mit Erfolg: Dem deutschen Kurfürst Georg Ludwig wurde 1714 die Krone des Empire zuteil, nach dem Tode von Queen Anne. Bothmer hatte den Hannoveraner als idealen Nachfolger empfehlen können: Er war mit der verstorbenen Königin blutsverwandt, und er war - eine weitere Krönungsbedingung - evangelisch. Der Aufstieg des Kurfürsten zum König brachte auch Hans Caspar von Bothmer an die Spitze seiner Karriereleiter. Georg I. erhob ihn zum »Ersten Minister für die deutschen Angelegenheiten«. Zudem war der Graf als wichtigster Berater an des Monarchen Seite, wohl nicht zuletzt wegen dessen miserabler Englischkentnisse. Bothmer hatte seine Kanzlei in Londons Downing Street 10, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Wenige Jahre später wurde das Haus zum Sitz des jeweiligen Premierministers - und ist es nach wie vor.
Hans Caspar von Bothmer, so schrieb der Hannoveraner Historiker Georg Schnath 1955, »war ein Diplomat mit weitem Blick, eine schmiegsame und kultivierte Persönlichkeit, ein zuverlässiger und fleißiger Diener seines Herrn«. Dieser wusste das zu schätzen, besoldete den Minister entsprechend hoch. So hoch, dass er 1726 aus der Ferne den Auftrag zum Bau des Schloss erteilen konnte. Bis 1945 blieb es Familiensitz, die DDR gestaltete es um zum Altenheim, nach der Wende gelangte es nach einigen Querelen in Besitz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ist nun vor allem Museum. Auf dem nahen Friedhof ruht auch Hans Caspar von Bothmer, der sein 1732 vollendetes Schloss niemals sah. Er starb im selben Jahr in London, sein Leichnam wurde in die deutsche Heimat überführt. Wie um so manches herrschaftliche Gemäuer, so gibt es auch zu Bothmer eine Spukgeschichte: Alle zwei Jahre soll sich im Schloss eine männliche Gestalt zeigen, die sich sämtliche Räume ansieht und dann wieder verschwindet.
Am Sonnabend werden Schloss und Park Bothmer wieder Veranstaltungsort für ein ganz besonders Ereignis sein: eine »Italienische Nacht«. Auf dem Programm stehen Werke von Mendelssohn Bartholdy, Vivaldi, Verdi oder Puccini. Schon weil viele Besucher des Sommer-Open-Air von Schloss Bothmer das Ganze üblicherweise mit einem Picknick einleiten, wird es im Klützer Winkel wohl ungezwungener zugehen als bei den Hochzeitsfeierlichkeiten im gut 200 Kilometer entfernten Hannover.
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