Keine Macht den Dumpfbacken

»Die Konferenz der Tiere« im Zoo Leipzig: Was hätte Erich Kästner zu G20 gesagt?

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 5 Min.

Anfang 1949 erschien nach elf Jahren mal wieder ein Kinderbuch von Erich Kästner. 1933 waren seine Werke in Berlin öffentlich verbrannt worden, wenige Jahre später erhielt er Schreibverbot. Mit seinem ersten Roman nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigte er sich so zufrieden, dass eine Frage nahelag: Warum biete ich das Ding nicht einfach Walt Disney zur Verfilmung an? Ja, dem Walt Disney, der schon Trickfiguren wie Schneewittchen, Bambi und Donald Duck durch Leinwandauftritte unsterblich gemacht hatte!

Um Ruhm und Ehre ging es Kästner dabei nicht. Um die materielle Verbesserung seines durch die Nazis arg ramponierten Lebensstandards schon eher. Vor allem aber fand er, »Die Konferenz der Tiere« passe in jene Zeit unmittelbar nach dem Desaster. Disney lehnte das Angebot ab mit der angesichts seiner jahrelangen antikommunistischen Propaganda umso putzigeren Begründung, er wolle keine Politik betreiben. Gut so, lässt sich mutmaßen, denn der Hollywood-Patriarch hätte dem Stoff sicher eine unerträgliche Süße und Sentimentalität verliehen. So wurde das Buch ein internationaler Erfolg und behielt seine inhaltliche Schärfe.

Weil sich die Repräsentanten der Menschheit bei ihren ständigen Meetings nicht friedlich einigen, treffen sich bei Kästner die Tiere aus Sorge um die Zukunft der Kinder ebenfalls zu einer Konferenz. Und alle erscheinen im Hochhaus der Tiere - sogar die Geschöpfe aus den Kinderbüchern. Es ist ein Märchen mit brachialem Ende, in dem die Tiere die Machthaber durch drastische Maßnahmen zur Vernunft zwingen müssen. Gute Absichten, so die Botschaft an das junge Lesepublikum, lassen sich nicht mit Lichterketten und Stoßgebeten durchsetzen.

Das Ziel der die Konferenz anzettelnden Gruppe um den Elefanten Oskar, die Giraffe Leopold und den Löwen Alois: die Abschaffung aller Grenzen, jeglichen Militärs und aller Waffen. Das liegt nahe am 21. Jahrhundert. Eine alte Erkenntnis, die leider nicht altert. Gerade jetzt, da sich die selbst ernannten Vertreter der vermeintlichen Krone der Schöpfung als »G20« codieren, in Hamburg verbarrikadieren und politisches Augenmaß mehr simulieren denn praktizieren, weil sie mit großer Sicherheit erneut nichts beschließen werden, das den Wesen dieser Welt wirklich hilft.

Da ist es natürlich clever, dass das Schauspiel Leipzig für sein diesjähriges Sommertheater diesen modernen Klassiker ausgewählt hat und ihn dann auch noch im Zoo der sächsischen Großstadt aufführt. Während in Hamburg die Proteste gegen die Zerstörung des Planeten und die Herrschaft des Kapitals niedergeknüppelt oder auch gleich ganz verboten werden, bringt in Leipzig eine Berliner Puppen- und Objekttheatergruppe mit dem herrlichen Namen »Retrofuturisten« den Kindern diese Geschichte nahe. Das Trio spielt den Kleinsten vor, warum in den Fernsehnachrichten derzeit so viele Politiker unverständliches Zeug salbadern, weshalb dort zudem immer wieder auf Leute eindreschende Polizisten zu sehen sind und wieso nur Kinder und Tiere dem ganzen Schlamassel noch Einhalt gebieten können.

Dabei mutet die Spielstätte an der wundersam gestalteten Freianlage, der Kiwara-Kopje, noch so fröhlich an: Auf dem Boden liegen blaue und pinke Holzsplitter, vorn steht ein festlich gedeckter Tisch, daneben ruht ein mondäner Kühlschrank, der Champagner beherbergt, im Hintergrund thront ein mit Leitern verbundenes Röhrenkonstrukt, in dem ein lustig gekleideter Mann auf dem Keyboard fluffige Melodien klimpert. Dann startet eine hinzuerfundene Rahmenhandlung, die für eine erste Enttäuschung sorgt: Drei Mitarbeiter des »Event-Teams Schönke« (Caspar Bankert, Franziska Dittrich, Magdalene Roth) bereiten eine Tagung vor. Als sie aus dem Radio vom wiederholten Scheitern einer Friedenskonferenz erfahren, setzen sie sich Tiermasken auf und planen plötzlich eine »Konferenz der Tiere«.

Warum nicht dem Zauber des Theaters vertrauen und so tun, als seien diese Menschen tatsächlich Tiere? Die nächste Enttäuschung setzt ein, wenn das »Team« zum Luftballonaufblasen animiert und die Tierfiguren zu sprechen beginnen. Sie reden mit dem Publikum, als bestünde es aus infantilen Zombies. Sie geben einen »Seid ihr alle daaa?«-Duktus zum Besten, der als Ansprache gegenüber Kindern nicht nur längst überholt ist, sondern auch Kästners grundlegender Absicht zuwiderläuft: Ihm ging es darum, Kinder nicht wie jene Dumpfbacken zu behandeln, als die sich Erwachsene so oft entpuppen.

Wo sich die »Retrofuturisten« an den Originaltext halten, da scheint dann aber doch der subversive Geist durch. Ratten und Mäuse überfallen die Menschenkonferenz und zernagen sämtliche Akten. Wolken silbergrauer Motten zerfetzen die Uniformen der Selbstherrlichen. Alle Kinder werden entführt und erst wieder herausgegeben, wenn sich die Menschen einigen. Die drei Schauspieler toben über die Bühne, veralbern Grenzbeamte, radebrechen hinter Masken grauer Männer und triumphieren dann: »Es gibt keine Mordwissenschaften mehr. Die Zahl der Büros, Beamten und Aktenschränke wird auf das unerlässliche Mindestmaß herabgeschraubt. Es gibt keine Trägheit des Herzens mehr!«

Kästner schrieb das Buch als Reaktion auf gescheiterte Konferenzen im Kalten Krieg. Mit seiner Freundin Luiselotte Enderle neben sich und mit seinem Kater auf der Schulter entwarf der Autor allabendlich die Handlung, wie er selbst einmal beschrieb: »Gedenke ich jener Abende, wird mir das Herz warm. Draußen war es Winter, schneeig und kalt, aber die ersten Anzeichen einer Besserung in Deutschland waren spürbar. Wir saßen in unserer geborgten Geborgenheit, tranken Wein, knabberten PX-Süßigkeiten und warfen uns die Ideen wie Bälle zu. Es knisterte und loderte in unseren Köpfen!«

Fort war jener Pessimismus, der Kästners Kunst kurz vor und nach dem Nazi-Aufstieg anhaftete. Wenige Jahre dauerte es, bis seine Dichtung wieder beim Trotz angelangt war: »Es tickt die Zeit. Das Jahr dreht sich im Kreise. Und werden kann nur, was schon immer war. Geduld, mein Herz. Im Kreise geht die Reise. Und dem Dezember folgt der Januar.« Das schrieb er 1955 in seinem letzten Gedichtband »Die 13 Monate«. Die lebensbejahende Innerlichkeit blieb dem Schriftsteller also auch als älterem Mann erhalten. Wer »Die Konferenz der Tiere« liest oder sie im Leipziger Zoo sieht, dem kann darum das Lachen des Erich Kästner im Ohr erklingen, das ihm beim Gedanken an »G20« sicher entfahren wäre.

Nächste Vorstellungen: täglich bis 31. Juli, außer Do. und Fr.

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