Maßlos in Hannover
Ministerpräsident Weil lässt seine Freude über die Welfenhochzeit öffentlich verkünden
Bezaubernd, traumhaft, ein Märchen, unbeschreiblich schön: Verbale Rosenblütenblätter schwebten am Wochenende in schier unglaublicher Zeilenzahl auf Welfenprinz Ernst August und seine frisch angetraute Ekaterina Malysheva herab. Die beiden Verlobten hatten sich am Samstag in der Marktkirche zu Hannover das Jawort gegeben. Doch in all den Jubel mischen sich jetzt auch kritische Stimmen, die eine besondere Betrachtung des Adels, auch durch Politiker, in Frage stellen - etwa in Leserbriefen.
Ein Manfred beispielsweise fragt: »Wie sind diese Leute zu ihrem Reichtum gekommen? Durch harte Arbeit oder Ausbeutung der seinerzeit hart Arbeitenden?« Und ein Gebhardt gibt zu bedenken: »Adel kommt von edel und beschreibt den Anspruch, das gemeine Volk beherrschen und erpressen zu dürfen. Als die Menschen noch obrigkeitshörig waren, funktionierte dieses System ganz gut.«
Hörig wohl nicht, aber sehr, sehr zugetan sind manche moderne Zeitgenossen offensichtlich noch heute dem Glamour, der ihnen aus aufwendig zelebrierten Auftritten des sogenannten Hochadels zuweht.
Wie sonst ist es zu erklären, dass sich mehr als 1000 Jubelbürgerinnen und -bürger um Hannovers Marktkirche scharten und freudig winkten, als sich Welfenprinz, Braut und Gefolge ins Gotteshaus begaben - durch Sperrgitter strikt getrennt vom »gemeinen« Volk? Man jubelte, als sich das Paar im historischen Vierspänner zum Hochzeitsschmaus kutschieren ließ. Wie im Märchenfilm. Fehlten nur die Herolde, die vorauseilend in die Menge trompeteten: Trara - der Prinz ist da!
Ein wenig Trara kam auch aus Niedersachsens Regierungszentrale. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nämlich ließ seine Staatskanzlei via Pressemitteilung ins Publikum posaunen, dass sich Ernst August und Frau »mit Niedersachsen erkennbar verbunden fühlen«. Er freue sich darüber, bekräftigt der Sozialdemokrat und lehrt das Volk: »Die Welfen gehören zu unserem Land, sie sind Teil unserer Geschichte.«
Neben Regierungschef Weil sonnte sich auch dessen Herausforderer bei der Landtagswahl Anfang des kommenden Jahres, Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann, im Glanz der Welfen und anderer Hochadliger. Weitere gewählte Volksvertreter standen auf der Gästeliste zur kirchlichen Trauung - Politiker mehrerer Landtagsparteien spielten das Theater mit: die Landtags-Fraktionsvorsitzenden Johanne Modder (SPD), Christian Dürr (FDP) sowie Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD).
Der OB hatte das Paar zuvor im Rathaus standesamtlich getraut, streng getrennt von der Öffentlichkeit. Auch die Presse war bei diesem Termin ausgesperrt, durfte aber dank einer Mitteilung aus dem OB-Büro erfahren, wie sehr sich auch das Stadtoberhaupt, ähnlich wie der Genosse Weil, über die Eheschließung gefreut habe. Und dass der Oberbürgermeister in seiner Ansprache an das Lied »Bridge over troubled water« erinnerte.
Das Bild der Brücke, schmalzte Schostok, sei sehr schön für Eheleute. Und: »Diese Eheschließung ist ja auch ein Brückenschlag besonderer Art. Ein junger Mann aus sehr alter Familie, die wichtige Aspekte hannoverscher Stadtgeschichte repräsentiert, heiratet in unserer modernen Stadt.«
So mancher Bewohner dieser modernen Stadt dürfte sich allerdings über Stunden in einem der Sissi-Filme gewähnt haben, die vor Jahrzehnten gedreht wurden: Streng wird der Adel dort, etwa 1853 beim Kaiserbesuch im Kurpark von Ischl, vom gemeinen, aber jubelnden Volk abgeschottet. Damals durch Gendarmen, im Jahre 2017 in Hannover mit Sperrgittern.
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