Schlafentzug kehrt zurück

Debatte über den G20-Gipfel in Hamburg wird für Olaf Scholz ungemütlich

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD) kündigte für diesen Mittwoch eine Regierungserklärung im Senat an. Es soll um die Aufarbeitung der Hamburger Krawalle während des G20-Gipfels gehen. Eines steht bereits fest: Seinen Rücktritt wird Scholz nicht verkünden.

Dabei sieht die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft die Gelegenheit gekommen, genau diesen zu fordern. Wie zuvor schon die Deutsche Polizeigewerkschaft. CDU-Fraktionschef André Trepoll spricht von politischem Totalversagen und der »größten politischen Fehleinschätzung eines Hamburger Bürgermeisters aller Zeiten«. Und die FDP schloss sich beflissen der Forderung an - wenn Scholz am Mittwoch nicht in vollem Umfang seine Fehler eingestehe »und die Folgen erläutert«, sagte Landesvorsitzende Katja Suding der »Rheinischen Post«, dann sei er für das Bürgermeisteramt nicht länger tragbar. Vor allem sind es die öffentlich von Scholz im Vorfeld des Gipfels geäußerten Bemerkungen über die Sicherheitslage in Hamburg, in der er den Vergleich zum jährlichen, kuscheligen Hamburger Hafengeburtstag zog, die ihm jetzt vorgehalten werden. Hamburgs LINKE fordert einen Untersuchungsausschuss, um den »ganzen Komplex« unter die Lupe zu nehmen - von der Entscheidung über den Austragungsort des Gipfels über das Einsatzkonzept der Polizei bis zu Einschränkungen der Grundrechte und Beeinträchtigungen für die Bürger bis hin zu den Gewalttaten der Autonomen.

In gewisser Weise kehrt der mit der versuchten Verhinderung der Protestcamps durch Scholz verordnete Schlafentzug für die Gipfelgegner, kehren die schlaflosen Nächte nun zu Scholz zurück. Auch von seinem Koalitionspartner, den Grünen, kann der Bürgermeister nicht erhoffen, dass sie sich vorbehaltlos vor ihn stellen. Sie hatten dem Konzept widersprochen, den Protestcampern keinen Fußbreit Boden mehr als nötig zu überlassen und ihnen das Zelten teilweise zu verbieten, selbst, als Gerichte ihr Recht auf solche Camps bestätigten. Eine Senatskrise sieht Scholz allerdings nicht nahen, die Grünen hätten im Vorfeld seine und die Zuständigkeit des Innenministers akzeptiert.

Dennoch erteilte Scholz den Rücktrittsforderungen umgehend eine Absage, als sie ihm zu Ohren kamen. Er konnte dies auch in der Gewissheit tun, die Rückendeckung der CDU auf Bundesebene und nicht zuletzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst zu haben. Führende Genossen seiner eigenen Partei, eingeschlossen SPD-Chef Martin Schulz, ließen ohnehin keinen Zweifel, was sie von Rücktrittsforderungen halten: nichts.

Doch auch Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) meinte in der Sendung »Anne Will«, er könne nicht sehen, worin die Forderung nach einem Rücktritt begründet sei. Altmaier zeigte sich selbst überrascht von dem Ausmaß der Gewalt und Rücksichtslosigkeit, mit dem die Autonomen vorgegangen waren.

Der Vorwurf lautet: Die Polizei habe die Bürger in den von den Ausschreitungen betroffenen Stadtvierteln sich selbst überlassen und ihre Sicherheit der Sicherheit der Gipfelteilnehmer untergeordnet. Dies verneint Scholz jedoch. Seine Ruhelosigkeit derzeit rührt eher von der Niederlage her, die er hinnehmen musste, von den rufschädigenden Bildern, die aus Hamburg um die Welt gehen, von dem Kontrollverlust und der Ohnmacht, die das anfängliche Überlegenheitsgefühl verdrängten. Denn von Anfang an hatte demonstrative Stärke das Agieren der Behörden dominierte.

Allerdings ist das für Scholz offenbar kein Grund, seine Positionen zu revidieren. Vielmehr sieht er die harte Linie gegenüber den Campern durch die Ereignisse bestätigt. Damit, dass solche Camps Ausgangspunkt von Gewalt sein können, habe man im Nachhinein ja »leider recht« gehabt, sagte er dem »Hamburger Abendblatt«. Er frage sich nun, so Scholz weiter, »wo all diejenigen sind, die im Vorfeld Kritik daran geübt haben, dass Polizei, Innensenator und Bürgermeister nicht einfach solche Camps zulassen«.

Scholz beharrt in Interviews seit dem Wochenende darauf, dass auch in deutschen Städten solche Gipfeltreffen stattfinden können müssten. Und dass nun hoffentlich harte Strafen für die Randalierer folgen werden. Wenn von Konsequenzen die Rede ist, denkt Scholz an diese, nicht an Rücktritt. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von den Anmeldern der »gewalttätig ausgearteten Demonstrationen« und bringt eine Schließung der Roten Flora ins Spiel. Das seit Jahren besetzte ehemalige Theater ist ein symbolisches Zentrum der linksautonomen Szene, weit über die Grenzen Hamburgs hinaus. Eine Räumung des Gebäudes, das sich in Privatbesitz unter Hamburgs treuhänderischer Verwaltung befindet, galt bisher als ausgeschlossen. Auch wegen des absehbaren Widerstands der Nutzer ...

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