Am Ende reicht das Geld nicht
Immer mehr Rentner überschulden sich
Ihr Leben lang waren Hannelore Schuster (Name geändert) und ihr Mann mit ihrem Geld ausgekommen. »Große Sprünge konnten wir nicht machen, aber es hat immer gereicht«, sagt die 75-Jährige. Doch das änderte sich, als ihr Mann starb. Plötzlich hatte Hannelore Schuster nur noch eine Witwenrente, die etwas mehr als die Hälfte des früheren Einkommens betrug. Die laufenden Kosten wie Miete und die Raten für einige Kleinkredite blieben aber. »Irgendwann ging es einfach nicht mehr«, sagt die Rentnerin.
Hannelore Schuster ist kein Einzelfall. Zwar machen ältere Menschen immer noch deutlich weniger Schulden als die Durchschnittsbevölkerung. Doch der Trend ist besorgniserregend. Laut Schuldneratlas Deutschland stieg die Verschuldung bei über 70-Jährigen in den vergangenen fünf Jahren um 58 Prozent auf insgesamt 174 000 Menschen. Auch bei den jüngeren Senioren im Alter von 60 bis 69 Jahren gab es ein Plus von sieben Prozent auf 504 000 Fälle.
Das merken auch die Schuldnerberatungsstellen. Sie verzeichnen zwar keine sprunghafte, aber eine kontinuierliche Zunahme von Menschen über 65 Jahren. Der Anteil der verschuldeten älteren Menschen stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamtes seit 2012 von fünf Prozent auf 6,7 Prozent.
Bei Claudia Lautner und ihrer Kollegin Maike Cohrs von der Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes in Köln fällt dieser Trend noch deutlich stärker aus. »Altersarmut ist nichts, was erst in ferner Zukunft auf uns zukommt. Sie ist bereits Realität«, stellt Schuldnerberaterin Cohrs fest. Kamen im vergangenen Jahr insgesamt 56 Menschen über 60 Jahre in die Beratungsstelle der Kölner Diakonie, so waren es im ersten Halbjahr 2017 bereits 36.
Ein Grund dafür mag sein, dass in Köln mit rund sieben Prozent besonders viele Rentner auf Unterstützung durch das Sozialamt angewiesen sind. Bundesweit erhalten knapp 3,2 Prozent der Rentner Grundsicherung. Doch es könnten bald deutlich mehr werden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung prognostiziert, dass die Kölner Verhältnisse mit einer Grundsicherungsquote bei Rentnern von sieben Prozent bis zum Jahr 2036 bundesweiter Durchschnitt sein könnten.
Grund ist offenbar, dass Senioren mit ihrer Rente nicht über die Runden kommen. »Wir haben nur selten ältere Menschen hier, die schon immer verschuldet waren«, sagt die Kölner Diakonie-Beraterin Lautner. Viele lebten auskömmlich, solange sie berufstätig seien. Wenn dann aber die Rente knapp sei und noch Schicksalsschläge dazu kämen, seien die finanziellen Reserven schnell aufgebraucht.
Kritisch werde es häufig, wenn wie im Fall von Hannelore Schuster der Ehepartner stirbt, weiß Beraterin Lautner. Manchmal führe auch eine späte Scheidung dazu, dass aus einem gut situierten Ehepaar zwei arme Single-Haushalte würden. Auch chronische Krankheiten führten oft zu Verschuldung.
Immer wieder treffen die Schuldnerberaterinnen auf Senioren, die unter dem Existenzminimum leben, aber keine Hilfen beim Sozialamt beantragen wollen. Wenn auf sie unerwartete Ausgaben zukommen, werde es schwierig. Dann würden Kredite aufgenommen, zum Beispiel um die kaputte Waschmaschine zu ersetzen. Und so summierten sich dann kleine Raten, die irgendwann mit der schmalen Rente nicht mehr beglichen werden könnten.
»Gerade ältere Menschen schämen sich aber oft furchtbar für ihre Schulden«, weiß Lautner. »Sie essen eher nichts, um irgendwie die Raten zahlen zu können.« Oft versuchten die verschuldeten Senioren dann viel zu lange, alleine mit den Problemen fertig zu werden, bevor sie zur Schuldnerberatung gehen. »Viele sind verzweifelt, weil sie ihr ganzes Leben lang von ihrer Arbeit leben konnten, und sich nun im Alter als Bittsteller empfinden«, sagt Lautner.
Immer wieder beobachten Lautner und Cohrs aber, wie erleichtert die Menschen sind, wenn sie ihnen Lösungswege für ihre Situation aufzeigen. »Viele leben mit der Angst, dass sie ins Gefängnis müssen, wenn sie ihre Raten nicht mehr zahlen können«, sagt Cohrs. epd/nd
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