Havarist auf dem Müggelsee

Wissenschaftler erprobt, wie sich per Satellitenradar Fluchtboote im Mittelmeer orten lassen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Peter Lanz wirft den Anker ins Wasser, geht zum Bug des Bootes und richtet es mit einem Ruder nach Norden aus. So soll das Schlauchboot für etwa eine Viertelstunde liegen bleiben. Dazu hält ein Helfer mit dem Ruder die Position. Lanz schaut auf die Uhr auf seinem Mobiltelefon. Kurz nach 7 Uhr verkündet er: »Wir haben es geschafft, wir können wieder zurückfahren.« Die Mitfahrer klatschen. Lanz holt den Anker ein und lenkt das Boot Richtung Müggelspree.

Es ist Freitagabend. Um 19 Uhr ist ein Forschungssatellit des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) über den Müggelsee geflogen und hat Radarbilder von dem Gebiet aufgenommen. Lanz wird diese Bilder in fünf Tagen erhalten. Er braucht sie, um ein Problem zu lösen: Er will es möglich machen, mittels Satellitenaufnahmen Schlauchboote mit Flüchtenden im Mittelmeer zu orten. Herauszufinden, ob und wie das geht, ist Ziel seiner Doktorarbeit an der Universität Oldenburg. Eineinhalb Jahre sitzt er bereits an der Arbeit, jetzt ist die Praxisphase dran.

Viele Menschen, die mit Booten über das Meer nach Italien fliehen und in Seenot geraten, ertrinken, weil sie nicht rechtzeitig gefunden werden. Seenotrettungsorganisationen wie Sea-Watch oder SOS Mediterranee fahren regelmäßig mit Schiffen über das Mittelmeer und suchen nach Fluchtbooten. Sea-Watch versucht seit April auch mit Hilfe eines Leichtflugzeuges, Boote zu orten. Könnten dazu Satelliten hinzugezogen werden, wäre es vielleicht möglich, mehr Menschen zu retten.

Allerdings: Auf den Radarbildern des DLR-Satelliten sind vor allem metallische Gegenstände leicht zu erkennen. Schlauchboote aber sind aus Gummi. Lanz' Idee: Weil er die Koordinaten kennt, an denen das Boot im See festgemacht ist, weiß er, wo er auf den Aufnahmen nach ihm suchen muss. So will er feststellen, wie Gummiboote dieser Größe und Beschaffenheit auf Satellitenbildern aussehen. Seit April schon fährt Lanz mit dem Boot raus, bis September sollen es fast 60 Fahrten werden. Auf vier Fahrten nimmt er Mitfahrer mit, um mit ihnen für den Satelliten ein volles Fluchtboot zu simulieren. »Ein volles Boot sieht auf dem Radar anders aus als ein leeres Boot«, sagt er.

Peter Lanz nimmt an diesem Freitag zum zweiten Mal eine Gruppe mit. Beim ersten Mal waren nur Freunde und Bekannte dabei. Schwierig sei es nicht, genügend Mitfahrer zu finden. Aber: »Ich will möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, ein Fluchtboot zu sehen und darauf zu fahren.« Deshalb hat er die Webseite fluchtboot.de eingerichtet, auf der sich jeder zur Mitfahrt anmelden kann. Vor allem über Schulklassen würde er sich freuen. »Sie sollen einen möglichst realistischen Eindruck davon bekommen, was an den Außengrenzen der EU passiert - ohne selbst dort gewesen zu sein.«

Auf »seinem« Schlauchboot sind tatsächlich Menschen über das Mittelmeer geflohen. Im Sommer 2015 hat Sea-Watch rund 120 Flüchtende von diesem Boot geborgen. Seitdem wird das Boot zu Demonstrationszwecken in Deutschland eingesetzt. Um es seetüchtig zu machen, musste er einige Löcher flicken. Die Multiplex-Bodenplatten sind noch original, und auch die mit ihnen verschraubten Bretter, die das Boot stabiler machen sollen.

25 Menschen sind an diesem Freitagabend mit dabei. Ein Mädchen nimmt ein Buch mit aufs Boot, liest aber nur kurz darin, dann findet sie das, was um sie herum passiert, doch spannender. Sie ist mit ihren Eltern an Bord, die Mitglieder des Segelclubs sind, an dessen Anlegestelle das Schlauchboot liegt. Eine junge Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, hatte im April schon geholfen, das Boot ins Wasser zu hieven. Dazu aufgerufen hatte das »Zentrum für politische Schönheit«. Bea, die nur ihren Vornamen nennen will, hat über die Facebook-Seite von Sea-Watch von der Aktion erfahren. Sie war selbst schon auf Rettungsfahrten dabei. »Im Vergleich zu einer richtigen Fahrt auf einem Fluchtboot war es bei uns ziemlich komfortabel«, sagt sie. Schließlich teilten sich sonst dreimal mehr Menschen den Platz auf solch einem Boot, es habe keinen Wellengang, dafür aber angenehmes Wetter gegeben und die Freiwilligen seien nur 45 Minuten statt einer Woche auf dem Wasser gewesen. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen, eine Woche hier an Bord zu sein.«

Mitfahren am 5. und 27. August. Weitere Infos unter fluchtboot.de

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