Die Reform taugt wenig
Kommission kritisiert Strafverschärfungen nach Kölner Silvesternacht
Dieser Plan ging schief. Als das Bundesjustizministerium jene Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts berief, die am Mittwoch ihren Abschlussbericht vorgestellt hat, war sich die Koalition noch uneins gewesen. Sie beabsichtigte, mit der Berufung einer spröden Juristenkommission das Thema auszusitzen. Doch das war vor der Silvesternacht in Köln. Es folgten Monate hitziger Debatten über sexuelle Gewalt und aus dem Bericht der Kommission wurde eine kritische Auseinandersetzung mit einer Reform des Sexualstrafrechts, die die Bundesregierung in Folge der Ereignisse in großer Hast ausgearbeitet hatte und im November 2016 öffentlichkeitswirksam verabschiedete. Für diese Reform findet die Kommission nun in einem 1 400 Seiten langen Bericht scharfe Worte.
Etwa kritisiert die Kommission den sogenannten Anti-Mob-Paragrafen als »schwer verständlich« und »missglückt«. Ihre Empfehlung ist, den Paragrafen sogleich wieder abzuschaffen. Die Bundesregierung hatte Täter abschrecken wollen, die, wie in der Silvesternacht, Gruppen bilden, in deren Mitte Menschen sexuell belästig oder vergewaltigt werden. Der Paragraf sei jedoch überflüssig, sagt die Kommission, denn einen Gehilfenparagrafen hatte es zuvor bereits gegeben. Wer nachweislich die Straftat eines Anderen förderte, konnte dafür auch verurteilt werden.
Dieser Nachweis war freilich schwer zu erbringen - doch er bleibt es auch mit dem neuen Gesetz. Der Grund dafür sei das verfassungsmäßig verankerte Schuldprinzip. Demnach darf für eine Tat nur bestraft werden, wer auch wirklich schuldig ist. Dieser Grundsatz verhindert, dass die bloße Anwesenheit bei einer Straftat schon unter Strafe gestellt werden kann. Schuld muss nachgewiesen werden und ob der neu geschaffene Tatbestand dieses Nachweisproblem beseitigt, sei zumindest zweifelhaft. Man müsste den neuen Anti-Mob-Paragrafen also schon verfassungswidrig auslegen, damit er überhaupt einen Zugewinn darstellt. Andernfalls ist er entbehrlich - »Symbolstrafrecht«, nennt das die Kommission.
Auch der sogenannte »Nein-heißt-Nein-Paragraf«, der den Tatbestand der Vergewaltigung neu bestimmt, wird von der Kommission in Frage gestellt. Die Neuregelung war von Frauenverbänden euphorisch begrüßt worden. Auch die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Neureglung überfällig war - der alte Paragraf habe Strafbarkeitslücken aufgewiesen, etwa bei Fällen sexueller Übergriffe in der Familie oder Partnerschaft. Doch die Art der Umsetzung durch das Bundesjustizministerium erscheint aus Sicht der Kommission dilettantisch. Die Vorschrift sei überfrachtet und weise dogmatische Unstimmigkeiten auf, heißt es im Bericht. Zahlreiche Vorschriften innerhalb des Vergewaltigungsparagrafen seien überflüssig und sollten ersatzlos gestrichen werden. Insgesamt bedürfe der Paragraf einer grundsätzlichen Überarbeitung.
Die Übergabe des Kommissionsberichts fand gestern unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In einer knappen, schriftlichen Stellungnahme würdigte Bundesjustizminister Heiko Maas den Bericht als »wichtigen Anstoß«. Er versprach, die Vorschläge sorgfältig zu prüfen.
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