Immer mehr Gewaltopfer melden sich
In der Gewaltschutzambulanz der Charité suchen deutlich mehr Menschen Hilfe als früher. In der ersten Hälfte dieses Jahres kamen durchschnittlich 100 Betroffene pro Monat, rund viermal so viele wie im Gründungsjahr 2014, sagte Vize-Leiterin Saskia Etzold am Donnerstag bei der Vorstellung der Bilanz.
Die Zahlen der Hilfesuchenden sind damit über die Jahre kontinuierlich angestiegen, doch auch das Angebot der Gewaltschutzambulanz wurde schrittweise ausgebaut. »Die hohe Nachfrage zeigt den Bedarf«, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Im neuen, vom Abgeordnetenhaus noch nicht beschlossenen Haushalt, seien ab 2018 rund 250 000 Euro mehr für diese Form der Opferhilfe vorgesehen. Bisher sind es 750 000 Euro im Jahr.
In der Gewaltschutzambulanz können Opfer ihre Verletzungen vertraulich dokumentieren lassen. Die Betroffenen müssen dabei nicht sofort entscheiden, ob sie ihre Peiniger bei der Polizei anzeigen. Die kostenlose Dokumentation zählt in jedem Fall später bei einer Verhandlung vor Gericht.
Für den Leiter der Gewaltschutzambulanz, Michael Tsokos, ist die Einrichtung auch ein Signal an die Täter: Über Verletzungen bei häuslicher Gewalt, Kindesmisshandlungen und erzwungenem Sex werden hier Beweise gesammelt - wenn die Betroffenen rechtzeitig kommen.
Seit der Eröffnung im Februar 2014 bis zum 30. Juni 2017 haben sich rund 2460 Menschen an die Gewaltschutzambulanz gewandt. Sie wurden zumeist von der Polizei, dem Jugendamt, oder von Ärzten geschickt. 1330 von ihnen kamen mit sichtbaren Verletzungen. 1168 willigten in eine Dokumentation ein. Rund ein Viertel der Gewaltopfer waren Kinder.
Unter den Erwachsenen suchten zu mehr als drei Vierteln Frauen Hilfe. Herkunft, Einkommen oder Bildungsgrad spielten dabei keine Rolle. Fast die Hälfte war von Partner oder Ex-Partner misshandelt worden, meist bereits über einen längeren Zeitraum. Bei der Mehrzahl der anderen Fälle kam der Täter aus dem Umfeld der Opfer. Bei den meisten schweren Attacken (15 Prozent) wurden Gewaltopfer gewürgt. Für jede fünfte untersuchte Frau bestand dabei nach den Einschätzungen der Rechtsmediziner Lebensgefahr. »Sie hatten Glück, dass sie überlebt haben«, sagte Etzold. Sexuelle Gewalt spielte bei sechs Prozent der Fälle eine Rolle.
»Auch unter Männern gab es Fälle von häuslicher Gewalt«, berichtete Etzold. Es gehe aber auch um Gewalt im Straßenverkehr, wenn nach verbalen Auseinandersetzungen körperliche Angriffe folgten. Auch Gewalt im Dienst - zum Beispiel gegen Busfahrer, Polizisten und Mitarbeiter in Krankenhäusern spiele eine Rolle. Rund die Hälfte der untersuchten Gewaltopfer zeigte ihre Peiniger bei der Polizei an.
Bei einem Verdacht auf Gewalt gegen Kinder fanden die Rechtsmediziner in rund der Hälfte der Fälle eine Bestätigung. Bei einem guten Viertel der Kinder waren keine Beweise zu finden, weil die Wunden möglicherweise schon verheilt waren. Nur bei rund einem Fünftel bestätigte sich der Verdacht nicht. dpa/nd
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