Heimlicher Hardliner

Indiens Rechte machen ein Mitglied der untersten Kaste zum neuen Präsidenten

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Wirkliche politische Macht besitzt der Präsident in Indien nicht. Er ist hauptsächlich ein Repräsentant, der für das Unterschreiben von Gesetzestexten und diplomatische Auslandsreisen die Verantwortung trägt. Der rechtspopulistische Premierminister Narendra Modi der hindunationalistischen Partei BJP verspricht sich von dem neuen Staatsoberhaupt Ram Nath Kovind dennoch einen Einflussgewinn. Die jüngste Wahl des Regierungskandidaten gilt vor allem als Signal an die Dalit-Kaste, die in der sozialen Hierarchie Indiens ganz unten steht. Der 71-jährige Kovind entstammt selbst der Gruppe der ehemaligen »Unberührbaren«, die rund 17 Prozent der Bevölkerung ausmachen und von umfassender Diskriminierung betroffen sind. Rund 5000 Abgeordnete hatten in einem komplizierten System über den Präsidenten abgestimmt. Auch die Oppositionskandidatin Meira Kumar, die erste weibliche Parlamentspräsidentin des Landes, ist eine Dalit. Gegen die BJP-Mehrheit hatte sie jedoch keine Chance.

Der in einem Dorf am Ganges geborene Kovind kann trotz seiner Herkunft eine beachtliche Karriere vorweisen: Während sein Vater noch ein Farmer war, studierte der Dalit Handel und brachte es zum Rechtsanwalt. Er assistierte dem ehemaligen Premierminister Morarji Desai und repräsentierte Indien bei den Vereinten Nationen in New York. Der verheiratete Vater eines Sohnes und einer Tochter war ebenso Abgeordneter im indischen Oberhaus. Von 2015 bis 2017 verwaltete Kovind schließlich als Gouverneur den östlichen, verarmten Bundesstaat Bihar. Innerhalb der BJP fungierte er zeitweise als Parteisprecher. In der Organisation vertrat er zudem die Interessen der Dalit, wenn er auch nicht zu den Galionsfiguren der Bewegung gehörte.

Indische Medien berichten, dass Kovind vor allem von der BJP ausgewählt wurde, weil er bisher weder als korrupt, elitär noch als politischer Hardliner aufgefallen war. Laut der »Vereinigung für demokratische Reformen« (ADR) sind 71 Prozent der indischen Abgeordneten Millionäre, gegen ein Drittel wird von Gerichten ermittelt. Die Hindunationalisten unter Modi stehen zudem im Ruf, sich als Vertreter der privilegierten Brahmanenkaste kaum für die Belange der unteren Schichten zu interessieren. Andere Religionsgruppen werden wiederum durch die nationalistische Rhetorik der BJP vergrault. Kovind soll nun die Dalit - rund 200 Millionen Menschen - mobilisieren. Die BJP hat mit ihrer Strategie bereits die nächste Parlamentswahl 2019 im Blick.

Der neue Präsident soll die Minderheit gleichzeitig besänftigen: Verschiedene Gesetzesreformen der vergangenen Jahre konnten kaum etwas an ihrer Diskriminierung ändern. Nach offiziellen Statistiken gab es 2015 mehr als 45 000 Straftaten gegen Dalit. Laut Amnesty International erhalten sie in mehreren Bundesstaaten keinen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. Mitglieder der oberen Kasten würden sexuelle Gewalt gegen Frauen der Minderheit ausüben. Speziell in den ländlichen Regionen ist es darüber hinaus weiterhin gängige Praxis, dass bessergestellte Inder nichts anfassen, was zuvor in Kontakt mit Dalit gekommen ist.

Zwei Ereignisse führten im vergangenen Jahr zu internationaler Aufmerksamkeit für die Benachteiligung der Gruppe: Im Bundesstaat Gujarat kam es zu Protesten, nachdem Mitglieder einer Bürgerwehr vier Dalits an einen Bus gefesselt und ausgepeitscht hatten. Die Betroffenen sollen einen Kuhkadaver gehäutet haben - eine Arbeit, die neben Latrinenreinigen und Putzen häufig von den »Unberührbaren« verrichtet wird. Im Januar 2016 hatte sich zudem der 28-jährige Studentenführer und Dalit-Aktivist Rohith Chakravarti Vemula umgebracht, nachdem er mit vier weiteren Kommilitonen aufgrund seines politischen Engagements von der Universität von Hyderabad verwiesen wurde. Im Anschluss an den Suizid gab es im ganzen Land Demonstrationen und Debatten über die institutionelle Benachteiligung von Dalit-Studenten.

Premierminister Modi erklärte aufgrund der brodelnden Situation in sozialen Netzwerken: »Kovind widmete sein Leben der Öffentlichkeit und arbeitete stets für die Armen und Marginalisierten.« Verschiedene Anzeichen deuten jedoch daraufhin, dass der Politiker nicht nur als Vertreter der unteren Kasten sprechen wird. Kovind, der bekannt dafür ist, jeden Tag mit Yoga-Übungen zu beginnen und kein Fleisch zu essen, fühlt sich offenbar vor allem dem nationalistischen Gedankengut verpflichtet: So war der Politiker Mitglied des »Rashtriya Swayamsevak Sangh« (Nationales Freiwilligenkorps), einer radikal-hinduistischen Kaderorganisation. Als Parteisprecher erklärte er zudem 2010, dass Islam und Christentum in Indien »fremd« seien. Laut Medienberichten gilt er als starker Unterstützer des umstrittenen Kurses von Regierungschef Modi. Kritiker aus der Zivilgesellschaft warnen, dass unter dessen Führung Indien zunehmend autoritäre Züge annimmt.

Es erwartet so auch kaum jemand, dass mit der Wahl von Kovind sich die Lebenssituation der unteren Kastenangehörigen verbessert. Bereits von 1997 bis 2002 hatte schließlich der Dalit K.R. Narayanan das Präsidentenamt inne. Geholfen hatte es den Marginalisierten nicht.

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