Schonungslose Wahrheit

Zum 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz finden gleich drei Ausstellungen in Berlin statt

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 6 Min.

Als Graphikerin war Käthe Kollwitz schon zu Lebzeiten eine über die Landesgrenzen hinaus geachtete und bewunderte Künstlerin, bis die Nationalsozialisten sie in die »innere Emigration« zwangen. Doch als Bildhauerin musste sie schwer um ihre Anerkennung ringen. Einzig die Figuren von Vater und Mutter, die 1932 auf dem Gefallenenfriedhof im belgischen Roggevelde (seit 1955 in Vladsloo-Praedbosch) als Totenmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges aufgestellt wurden, brachten ihr eine weite Resonanz ein. Erst die Nachwelt hat aber ihre Position in der Bildhauerkunst der Moderne entsprechend gewürdigt. Sie hat mehr als 20 realisierte Plastiken hinterlassen; unzählige, nur in Gips ausgeführte Arbeiten sind verloren gegangen.

Das Berliner Käthe-Kollwitz-Museum zeigt im Plastik-Saal Hauptwerke, an denen man die Entwicklung der Bildhauerin verfolgen kann, vom Liebespaar (zweite Fassung, 1913 - 1916, Bronze), der ersten Arbeit, die sie ausstellte, bis zu den »Zwei wartenden Soldatenfrauen« (1943, Bronze), einer Anklage gegen den von Hitler-Deutschland entfesselten Weltkrieg. Am radikalsten hat sie das Muster der »Pietà« umgeformt. In der Plastik »Mutter mit zwei Kindern« (1926 - 1936, Bronze) umfasst die nahezu animalisch kauernde Frau mit ihren gewaltigen Armen energisch ihre Kinder. Eine Mutter, »die ihre beiden Kinder umschließt, ich bin es selbst mit meinen eigenen leibgeborenen Kindern«, so hatte die Kollwitz sie zunächst gezeichnet, und die Plastik wuchs nun zu einer mütterlichen Urkraft im Beschützen von unschuldigem, hilfsbedürftigem jungen Leben.

»Mutter mit totem Sohn« (1937/ 38) wandelt das Pietà-Motiv so ab, dass die Mutter den wie schlafend liegenden Toten an ihren Körper gebettet hat, mit der einen Hand seinen Kopf und mit der anderen dessen Hand hält, wie, um ihm wieder Leben zu geben. Gleichzeitig gestaltete sie die Rundplastik »Turm der Mütter« (1937/38, Bronze): Eine bewegte Gruppe von Müttern beschützt nicht nur gemeinsam die Kinder, sondern widersteht mimisch und gestisch - kämpferisch entschlossen - der drohenden Kriegsgefahr.

Das Museum wird sich bald eine neue Bleibe suchen müssen, da der Eigentümer der Immobilie an diesem Standort ein privates Exil-Museum einrichten will. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb die Direktorin des Kollwitz-Museums, Iris Berndt, die Einrichtung verlassen wird. Das gab sie am Eröffnungstag der Kollwitz-Jubiläumsausstellung bekannt. Zuvor aber gelang der Kunsthistorikerin noch ein Coup: Das Museum ist Kooperationspartner einer zeitgleich stattfindenden Ausstellung in Kaliningrad (Russland), der Heimatstadt der Künstlerin.

Mit der Ausstellung »Käthe Kollwitz und ihre Freunde« hat sich das Kollwitz-Museum etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Über die Beziehung zu bekannten wie unbekannten Zeitgefährten werden mit Kunstwerken, Briefen, Dokumenten, Fotografien von über 30 Leihgebern neue Perspektiven und Bezugspunkte auf Leben und Werk der Kollwitz eröffnet. Zu diesen »Freunden« zählen etwa die Münchner Studiengefährtin Marianne Fiedler, der Vorsitzende der Secession und spätere Akademiepräsident Max Liebermann, Gerhart Hauptmann, dessen Stück »Die Weber« (»Sie schlugen bei mir ein mit einer unglaublichen Wucht«) ihr die Anregung zu ihrem Weberzyklus gab, und der Physiker Albert Einstein, mit dem sie sich überparteilich politisch in der Liga für Menschenrechte engagierte.

Wenn auch Kollwitz die Grundbedingungen und Möglichkeiten des Menschseins, das Moment des existenziellen Ausgesetztseins gestaltet hat, so waren doch Leid und Not für sie ein gesellschaftlich bedingtes Problem, das sie etwa durch aufrüttelnde Appelle an die Mitmenschlichkeit zu verändern suchte. Der ungleich jüngere Maler Otto Nagel war für sie einer der wichtigsten Freunde nach dem Ersten Weltkrieg, beide engagierten sich für die Internationale Arbeiterhilfe. Durch ihn kamen ihre Ausstellungen in Russland zustande sowie ihre Reise dorthin, 1927. Es gibt zwar keine schriftlichen Zeugnisse zwischen ihr und Heinrich Zille, doch fühlte sie sich diesem verbunden und rettete sein Filmprojekt »Mutter Krausens Fahrt ins Glück«. Dem jungen Reinhard Schmidhagen, dem sie eine neue Themen- und Formensprache vermittelte, wurde die Kollwitz eine lebenswichtige Freundin.

Kollwitz lebte von 1891 bis 1943 im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Ihr Wohnhaus in der Weißenburger Straße (heute Kollwitzstraße) wurde 1943 von Bomben zerstört, sie selbst war vorher nach Nordhausen geflüchtet. 1949 wurde in Prenzlauer Berg eine der ersten Ausstellungen ihrer Werke nach dem Zweiten Weltkrieg organisiert, und hier, am authentischen Ort, findet nun auch die Ausstellung »Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche« in der Galerie Parterre statt. 70 Leihgaben aus dem Bestand des Kollwitz-Museums Köln geben einen Überblick über das graphische Schaffen, wobei den direkten topographischen Berlin-Bezügen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Blätter wie die Kohle-Kreide-Zeichnung »Frau auf dem Balkon. Selbstbildnis« (um 1892/94), die Gouache »Arbeiter, vom Bahnhof kommend« (1897/99), die Kreide-Lithographie »Städtisches Obdach« (1926) oder die Kohle-Kreide-Zeichnung »Revolution 1918« (1928), die jubelnde Menschen vor dem Brandenburger Tor zeigt, sind beeindruckende künstlerische Zeugnisse. Darüber hinaus wird mit den graphischen Zyklen (so mit dem »Weberzyklus«, der sie 1898 schlagartig berühmt machte) und Einzelblättern vor allem die herausragende Künstlerin vorgestellt.

Ein Begleitbuch lässt uns »auf Spurensuche« gehen im Wohnviertel der Familie Kollwitz am Wörther Platz (heute Kollwitzplatz), in den Ateliers der Künstlerin. Es stellt uns den Arzt und Sozialdemokraten Karl Kollwitz vor, der mehr war als nur »der Mann an ihrer Seite«, ihren Bruder Conrad Schmidt, Mitbegründer der Volksbühnenbewegung. Wir erfahren mehr über Käthe Kollwitz und die Berliner Secession sowie die Preußische Akademie der Künste, denen sie angehörte, über Käthe Kollwitz und die Juden, über Käthe Kollwitz, »die proletarische Kultur« und die Sowjetunion. Und wir werden unterrichtet über Berlin als Bildmotiv, über die Beziehung der Kollwitz zu dem jüngeren Maler- und Grafikerkollegen Herbert Tucholski oder über das Kollwitz-Denkmal von Gustav Seitz. Ein wirkliches Kompendium liegt hier vor, das uns die Biographie, Werk und Umwelt der Kollwitz in vielen neuen Aspekten erschließt.

Schließlich soll noch auf die Kollwitz-Ausstellung im Willy-Brandt-Haus hingewiesen werden, die der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus zusammen mit »Verfolgte Moderne - Die Aktion Entartete Kunst« mit Werken aus der eigenen Sammlung vorstellt, darunter einzigartige Blätter wie der »Weberzug« aus dem Weberzyklus, »Aufruhr« (1899) oder »Proletariat: Erwerbslos« (1926).

In diesen Ausstellungen kann der Betrachter seine eigenen Entdeckungen machen. Selbst dem mit dem Werk der Kollwitz Vertrauten eröffnen sich überraschende Bezugsfelder und Querverbindungen, im biographischen Kontext, in der Thematik und Motivik, im Ausdruckswillen und in der geistigen Grundhaltung dieser großen Künstlerin.

»Käthe Kollwitz und ihre Freunde« - bis zum 15. Oktober im Käthe-Kollwitz-Museum, Fasanenstraße 24, Charlottenburg

»Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche zum 150. Geburtstag« - bis zum 24. September in der Galerie Parterre, Danziger Straße 101, Prenzlauer Berg

»150 Jahre Käthe Kollwitz / Verfolgte Moderne - Die Aktion entartete Kunst« - bis 3. September im Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, Kreuzberg

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