Mossuls Befreier unter Verdacht

IS in Iraks zweitgrößter Stadt besiegt, doch Verbrechen begingen nicht nur die Islamisten

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Trümmerwüste im Norden Iraks, die Mossul heißt und vor fünf Jahren noch zweitgrößte Stadt Iraks war, scheint in einem untoten Zustand der Bewusstlosigkeit zu verharren. Diesen Eindruck legen jene Korrespondentenberichte der vergangenen Tage nahe, die man für einigermaßen realistisch halten kann. Davon gibt es, obwohl die Stadt als vom Islamischen Staat befreit gilt, erstaunlich wenige. Die Bilder der Siegesparade vom Sonnabend sollte man nicht dazu zählen.

Dabei waren Einheiten der regulären Armee Iraks, vor allem aber informelle schiitische Milizen in überschwänglicher Siegerlaune an Ministerpräsident Haidar al-Abadi und seinem Kabinett vorbeiparadiert. Die Szenerie warf bei genauerem Hinsehen Fragen auf, denn von jubelnden Befreiten am Straßenrand war nichts zu sehen. Dafür gibt es zwei denkbare Erklärungen. Entweder sind jene Zehntausenden, die vor der erbarmungslosen Kriegsmaschine aus der Stadt geflohen waren, noch nicht wieder zurück. Oder sehr viele der überlebenden Bewohner hatten keinerlei Neigung, marodierenden Banden, von denen sie im Laufe des »Befreiungs«kampfes drangsaliert wurden, auch noch zu huldigen.

Und an Terror muss sich einiges abgespielt haben: Rachefeldzüge der Sieger, standrechtartige Hinrichtungen von »Kollaborateuren«, Plünderungen ... Doch darüber gab aus Mossul allenfalls Andeutungen. Die in die Truppenstäbe eingebetteten Berichterstatter der irakischen Medien blickten pflichtgemäß weg, aber auch in Mossul anwesende Vertreter der US-Streitkräfte zeigten keine Neigung, offensichtliche Verbrechen des Militärs auch als solche zu benennen. Ganz anders also als zu Jahresbeginn bei der Rückeroberung der syrischen Nordmetropole Aleppo, bei der zwar keine US-Teams anwesend waren, von den Amerikanern aber um so anklagender das Vorgehen der syrischen Regierungstruppen und der russischen Luftwaffe angeprangert wurde, bis hinein in den UN-Sicherheitsrat.

Der Mantel des Schweigens liegt nicht über den Kriegsverbrechen von Banditen des Islamischen Staates. Diese stellt niemand in Frage, zumal die IS-Propagandisten ihre scheußlichen Verbrechen selbst ins Netz stellen und sich damit brüsten. Es geht um die der jetzigen Sieger und auch die der sie unterstützenden US-Luftwaffe.

Amnesty International hat dazu vor wenigen Tagen in London einen kritischen Bericht vorgelegt. Die Organisation kritisiert vor allem, dass unverhältnismäßig schwere Waffen eingesetzt worden seien, Attacken aus der Luft eingeschlossen. So seien bei einem US-Luftangriff auf Mossul am 17. März mehr als 100 Zivilisten getötet worden. Amnesty zufolge verfehlten US-geführte Koalitionstruppen und irakische Streitkräfte im Kampf um Mossul regelmäßig ihr militärisches Angriffsziel. Anders ausgedrückt: Es war ihnen völlig gleichgültig, wen sie noch alles liquidieren - Hauptsache, die Kampfzone kann als »befreit« gemeldet werden.

Amnesty belegt seine Behauptungen mit etwa 150 Zeugenaussagen von Einwohnern der bis zuletzt umkämpften Altstadt auf der westlichen Seite des Tigris, von medizinischen Helfern und Militärexperten. Der irakische Generalstab lehnte es ebenso wie das US-Militär ab, sich dazu zu äußern - auch eine Art Bestätigung.

Warum aber gehen die »Befreier« derart erbarmungslos vor? Und warum dauert die Rückeroberung der Stadt durch eine erdrückende militärische Übermacht gegen wenige tausend mehr schlecht als recht ausgebildete paramilitärische Trupps, die zudem seit über einem Jahr von jedem Nachschub von außen abgeschnitten sein müssten, derart lange? Gewiss, es mag viele Minen und Sprengfallen geben, die mühevoll aufgespürt und entschärft werden müssen. Doch das allein reicht als Erklärung nicht.

Was die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad nicht einräumen möchte, ist die Tatsache, dass sich große Teile der Bevölkerung im sunnitisch geprägten Mossul von der Zentralregierung diskriminiert und abgehängt fühlten. Sie haben sich wohl einfach mit dem IS arrangiert. Zumindest wäre so auch zu erklären, dass eine 2,9 Millionen-Einwohner-Stadt drei Jahre lang von wenigen tausend IS-Milizionären beherrscht wird, ohne dass es nennenswerten Widerstand gab. Es würde auch erklären, warum sich die Sieger jetzt dem Vernehmen nach derart barbarisch benehmen.

Das ist inzwischen auch für die UNO Anlass zur Sorge. Der UN-Sondergesandte für Irak, der Slowake Jan Kubiš, sagte diese Woche vor dem Sicherheitsrat, im ganzen Land häuften sich die Übergriffe. Als IS-Kollaborateure verdächtigte Menschen würden vertrieben, ihre Häuser würden beschlagnahmt, sagte Kubiš. AFP zitierte den Gesandten mit der Aufforderung an Ministerpräsident Abadi, »dringende Maßnahmen« zur Unterbindung der »Kollektivbestrafung« ganzer Familien zu ergreifen.

Der Regierungschef selbst hatte bereits im Februar öffentlich an seine Streitkräfte appelliert, während der Schlacht um Mossul »die Menschenrechte zu respektieren«. Mit welchem Erfolg dies geschah, weiß man nicht, für Kriegsverbrechen an Kämpfern, die sich ergeben haben, bzw. an Zivilisten sind vermutlich aber ohnehin jene extralegalen kurdischen und schiitischen Verbände verantwortlich, die sich dem irakischen Oberkommando nicht unterstellt fühlen.

Der Kampf in Mossul ist nicht beendet, Zehntausende Flüchtlinge warten auf die Rückkehr in eine zu weiten Teilen zerstörte Stadt, deren künftige politische Ordnung offen scheint. Und die Aufarbeitung dessen, was seit der Machtübernahme durch den IS am 10 Juni 2014 bis heute geschah, hat noch nicht einmal begonnen. Gefordert wird sie vehement. »Die Verbrechen des IS entbinden die Truppen der Gegenseite nicht von ihrer rechtlichen Verpflichtung, Zivilpersonen zu schützen«, erklärte die Amnesty-Direktorin für den Mittleren Osten, Lynn Maalouf. Sie forderte eine unabhängige Kommission, um mögliche Verstöße gegen das Völkerrecht zu untersuchen. Auch die US Air Force ist dabei angesprochen.

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