Es bleiben die Straße und Zivilcourage

Polens Nationalkonservative forcieren gegen wachsenden Widerstand die umstrittene Justizreform

  • Holger Politt, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Die von Jarosław Kaczyński geführten Nationalkonservativen der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) haben in den letzten Tagen drei Gesetze im polnischen Parlament passieren lassen, die nun die Unterschrift des Staatspräsidenten Andrzej Duda benötigen. Nach den Gesetzen über die Gerichte und den Landesgerichtsrat ließen die PiS-Mehrheiten am Donnerstag in Sejm und Senat das Gesetz über das Oberste Gericht passieren.

Damit sei, wie Ministerpräsidentin Beata Szydło am Donnerstagabend in einer Fernsehbotschaft sagte, den Erwartungen der Menschen in Polen entsprochen worden, die Aggressivität und der Frust bei den Eliten der dritten Republik werde an der Reform des Gerichtswesens nichts ändern. Die Verteidiger dieser Eliten im In- und Ausland verrechneten sich. Kaczyński verteidigt die Gesetze, weil die Gerichte in Polen bislang stark gegenüber den Schwachen, schwach gegenüber den Starken aufgetreten seien.

Im Kern geht es bei dem Gesetzespaket darum, die Einflussnahme von Exekutive und Legislative auf die Judikative zu stärken, die Gewaltenteilung de facto auszuhebeln. So räumt die nun beschlossene grundlegende Umgestaltung des Obersten Gerichts den Nationalkonservativen alle Möglichkeiten ein, die Mandate der jetzigen Richter am Obersten Gericht für erloschen zu erklären.

Über die Zusammensetzung des neuen Obersten Gerichts würde wie bisher der Landesgerichtsrat entscheiden, der aus 25 Personen zusammengesetzt ist. Bisher wurden 15 Mitglieder des wichtigen Gremiums mit einer sogenannten Richterselbstverwaltung, also berufsständisch gewählt. Künftig soll der Sejm mit einer Mehrheit von drei Fünfteln über die 15 Richter befinden. Daneben sind vier Sejm-Abgeordnete, zwei Senatoren, ein Vertreter des Staatspräsidenten, die Vorsitzenden des Obersten Gerichts und des Hauptverwaltungsgerichts sowie der Justizminister Mitglieder in dem Gremium.

Die Mehrheit von drei Fünfteln der Sejm-Angeordneten hatte Präsident Duda mit seiner Intervention durchgesetzt, denn Kaczyński wollte ursprünglich lediglich die absolute Mehrheit. Allerdings gibt die Verfassung vor, dass die 15 Richter im Landesgerichtsrat aus der Richterschaft gewählt werden müssten, so dass die von den Nationalkonservativen benutzte Auslegung, das könne folglich auch der Sejm tun, wohl einen klaren Bruch der Verfassung darstellt. Festgelegt ist dort, dass der Landesgerichtsrat über die richterliche Unabhängigkeit zu wachen habe.

Die Reaktionen in Polens Öffentlichkeit sind entsprechend scharf. Von Demontage der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wird bei den Verteidigern der Verfassung gesprochen. Aleksander Kwaśniewski, von 1995 bis 2005 Staatspräsident, verweist darauf, dass PiS in der polnischen Bevölkerung keine Mehrheit finde für die Pläne, die geltende Verfassung Schritt für Schritt außer Kraft zu setzen. Er habe zudem den Eindruck, dass dem Regierungslager der Sinn für die Lage Polens in Europa und in der Welt abhanden gekommen sei.

Robert Biedroń, Stadtpräsident von Słupsk, meint, nun bleibe die Hoffnung auf den öffentlichen Widerstand der Gesellschaft, um die Absichten der Nationalkonservativen zu durchkreuzen. Adam Strzembosz, von 1990 bis 1998 Vorsitzender des Obersten Gerichts, ruft Präsident Duda auf, die schändlichen Gesetze nicht zu unterschreiben, um Schaden für das Land abzuwenden.

Duda gilt aber als entschiedener Gegner der Verfassung von 1997, auch wenn er Polens oberster Verfassungshüter sein sollte. Erst kürzlich hatte er den Vorschlag unterbreitet, den 100. Jahrestag der Wiederherstellung Polens im November nächsten Jahres zu nutzen, um in einer Volksabstimmung über die Verfassung abzustimmen. Seine etwas an den Haaren herbeigeholte Begründung verweist darauf, dass er 2015 bei seiner Wahl mehr Stimmen erhalten habe, als seinerzeit 1997 für die Verfassung abgegeben worden seien. Demzufolge sei es nur legitim, die Verfassung noch einmal auf den Prüfstand der Volksmeinung zu stellen.

Die protestierenden Menschen fordern das klare Veto des Präsidenten. Dann müsste alles wieder zurück in den Sejm, in dem es dann wiederum mit einer Mehrheit von drei Fünfteln der Stimmen verabschiedet werden könnte. Im Grunde würde die Unterschriftsverweigerung unter eines der drei Gesetze reichen, um das ganze Paket zu Fall zu bringen. Dieser Schritt aber wäre der offene Bruch Dudas mit der Kaczyński-Partei.

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