Twitter-Mädchen aus Aleppo: Bauchredner aus Syrien

Netzwoche

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Onlinemagazin »Stern.de« erringt einen Sieg in einem beachtlichen Medienprozess - und berichtet (so wie alle anderen etablierten Medien auch) mit keiner Zeile darüber. Es mag sein, und das ist eigentlich die einzige Erklärung für diesen verschämten Umgang mit dem eigenen Triumph, dass den Blattmachern die ganze Sache ein bisschen unangenehm ist - und das zu Recht.

Auslöser des Prozesses war ein Artikel von Jens Bernert auf dem Blog »Blauerbote.com«, in dem er Marc Drewello von »Stern.de« als »Nachrichtenfälscher« und »Fake-News-Produzent« bezeichnete und ihm unterstellte, »Falschmeldungen zu Propagandazwecken« zu produzieren. Anlass für diese Tirade war, dass Drewello einen jede Skepsis vermissen lassenden Artikel über das angeblich twitternde Mädchen Bana aus Aleppo in Syrien geschrieben hat.

Das Hamburger Landgericht hat den Unterlassungsanträgen des »Stern.de«-Autors stattgegeben, weil der Blogger dem Redakteur Drewello einen Vorsatz unterstelle, den er nicht beweisen könne, da er keine Einblicke in die Redaktionsabläufe bei »Stern.de« habe. Ob die Geschichte um das »Twittermädchen« Bana stimme, oder aber offensichtliche und zudem ein Kind instrumentalisierende Kriegspropaganda sei, tue nichts zur Sache, so das Gericht.

Stefan Niggemeier schreibt dazu auf »Uebermedien.de«: »Allzu bereitwillig strickten viele am Märchen mit, dass hier die authentische Stimme eines sieben- oder achtjährigen Kriegs-Opfers zu hören sei. Die Geschichte, wie Bana instrumentalisiert wurde und wie sich die Medien instrumentalisieren ließe, wäre ein guter Anlass für Selbstkritik. Bei Stern.de entschieden sie sich stattdessen, einen schrillen Kritiker zu verklagen.«

»Einer der extrem seltenen, skeptischen Beiträge etablierter Medien zur Bana-Farce ist auf «Zeit.de» erschienen«: »Kein siebenjähriges Kind würde einen Satz sagen wie ›Der Krieg hat mir die Kindheit geraubt‹. Den gesamten Twitter-Auftritt muss man deshalb nicht anzweifeln, wie es einige tun. Aber eine authentische Kinderstimme hören wir hier nicht.«

Der Anwalt des »Blauen Boten«, Marcus Kompa, hat sich in mittlerweile fünf auf seiner Webseite veröffentlichten Beiträgen zum Prozess und zur Bana-Geschichte geäußert und er beschreibt die Vorgänge um das Mädchen um einiges drastischer: »Offenkundig nutzt also eine Dschihadistin ihre Tochter wie ein Bauchredner seine Puppe, um Propaganda zu lancieren.«

»Wir nehmen Ihnen nicht Ihre Meinung«, zitiert ebenfalls auf Uebermedien.de Boris Rosenkranz die zuständige Richterin Käfer. Bernert dürfe ja behaupten, dass er Zweifel habe an der Geschichte um das achtjährige Twitter-Mädchen, sagte Käfer laut Rosenkranz. Er dürfe schreiben, dass er stutzig sei und weshalb. In diesem Verfahren gehe es aber nicht um seine Meinung, auch nicht darum, ob die Sache wahr sei oder unwahr, sondern um Begrifflichkeiten wie »Fake-News-Produzent«. Rosenkranz’ Nachfrage bei Stern.de, ob sie die Bana-Geschichte denn für wahr halten und sie in irgendeiner Weise überprüft haben, wollte eine Verlagssprecherin mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten.

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