Venezuela in schlechter Verfassung

Finden die Wahlen tatsächlich an diesem Sonntag statt, dann droht eine weitere Eskalation

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicolás Maduro scheint fest entschlossen zu sein. »Am 30. Juli werden wir uns zwischen Krieg und Frieden, zwischen Zukunft und Vergangenheit, zwischen Unabhängigkeit und Kolonie entscheiden«, betonte der venezolanische Präsident am vergangenen Dienstag im staatlichen Fernsehen. Es klingt wie damals, als Hugo Chávez noch lebte und die venezolanische Bevölkerung mittels Wahlen und Referenden fast jedes Jahr zwischen zwei grundverschiedenen Gesellschaftsentwürfen entscheiden konnte. Doch dieses Mal liegt die Sache ein wenig anders: Am kommenden Sonntag sollen 545 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Verfassunggebenden Versammlung gewählt werden, die Maduro am 1. Mai als Ausweg aus der tief greifenden politischen und wirtschaftlichen Krise angekündigt hatte. 181 der Sitze werden von festgelegten gesellschaftlichen Sektoren wie etwa der Arbeiterschaft, Studierenden oder Indigenen und 364 auf territorialer Ebene in Wahlkreisen bestimmt.

Doch sowohl das rechte Oppositionsbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) als auch die linke Opposition boykottieren die Wahl und haben keine Kandidaten aufgestellt. Die entscheidende Frage wird also nicht sein, wer gewinnt, sondern allenfalls, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfällt. Der heftige Machtkampf zwischen Regierung und Opposition, bei dem seit der Eskalation Anfang April bereits über 100 Menschen getötet wurden, wird trotzdem weitergehen.

Die Regierungsgegner lehnen die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung unter anderem deshalb ab, weil es vorab kein Referendum gab, sondern der Bevölkerung nur die fertige Verfassung zur Abstimmung gestellt werden soll. Außerdem befürchten sie, dass die Regierung den Staat für ihre Zwecke reformieren und die Demokratie abschaffen will. Die Regierung hingegen argumentiert, die von Maduros Vorgänger Hugo Chávez initiierte Verfassung von 1999 perfektionieren zu wollen, indem beispielsweise basisdemokratische Strukturen und Sozialprogramme Verfassungsrang erhalten.

Wenn man den kursierenden Gerüchten glaubt, könnte die Wahl jedoch noch kurzfristig abgesagt oder verschoben werden. Angeblich laufen unter der Hand Gespräche zwischen Regierung und rechter Opposition. Der MUD beharrt offiziell jedoch auf einer bedingungslosen Absage als Bedingung für einen Dialog. Das Oppositionsbündnis versagt der Regierung und den von ihr kontrollierten staatlichen Gewalten mittlerweile offen die Anerkennung. Stattdessen strebt der MUD eine Parallelregierung an und ernannte am vergangenen Freitag symbolisch 33 neue Richter für das Oberste Gericht. Das politische Mandat dafür leitet der MUD aus einer selbst organisierten Volksbefragung über die verfassunggebende Versammlung und die Neubesetzung staatlicher Gewalten ab, an der sich am 16. Juli nach Oppositionsangaben fast 7,6 Millionen Menschen beteiligten. Gemessen daran, dass aus den eigenen Reihen zuvor mit Zielvorgaben zwischen acht und zehn Millionen hantiert worden war, blieb das Ergebnis deutlich hinter den Erwartungen zurück. Der MUD sieht dennoch eine pathetisch als »Stunde Null« bezeichnete neue Phase des Protestes legitimiert.

Sollte die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung wie geplant stattfinden, droht eine weitere Eskalation, die entweder in einer Art Verhandlungslösung oder schlimmstenfalls in einen Bürgerkrieg münden könnte. Die rechte Opposition will den Druck zunächst weiter erhöhen und erhält dabei Rückendeckung sowohl von der EU als auch den USA, die am Mittwoch Sanktionen gegen 13 staatliche Funktionäre verhängten. Für den 20. Juli hatte der MUD bereits zu einem 24-stündigen Generalstreik aufgerufen. Diese Woche folgten am Mittwoch und Donnerstag 48 Stunden, bei Protesten kamen erneut mehrere Menschen ums Leben. Für den heutigen Freitag ist eine Großdemonstration in der Hauptstadt Caracas geplant.

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