Sorgen im Haus der Knödel und des Pürees
Der Lebensmittelkonzern Unilever will vor allem im Osten den Rotstift ansetzen
»Boomtown« nannten Medien im Jahr 2005 das gut 5000 Einwohner zählende Stavenhagen. Die rund 30 Kilometer westlich von Neubrandenburg liegende Reuterstadt, benannt nach dem 1810 dort geborenen Dichter, scheint diese Bezeichnung durchaus verdient zu haben. Schuf sie doch schon kurz nach der Wende ein 55 Hektar großes Industriegebiet, konnte sie doch schon 1993 einen ihrer größten Steuerzahler begrüßen: das Pfanni-Werk, das dessen Mutterkonzern Unilever von Bayern in den Nordosten verlegt hatte. Und drückte die Menschen in der Region vor zwölf Jahren noch eine Arbeitslosenquote um die 30 Prozent, so ist sie im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte inzwischen auf 9,8 Prozent gesunken.
Die Quote könnte jedoch rasch wieder in die Höhe schnellen, falls Unilever seine Produktionsstätte in Stavenhagen schließt. Immerhin sind dort rund 200 Menschen mit der Herstellung von Kartoffelpüree, Knödeln und ähnlichen Produkten beschäftigt.
Es ist nicht der einzige Unilever-Standort im Osten, den der Konzern im Sparvisier hat. Betroffen ist von entsprechenden Plänen auch das Werk im sachsen-anhaltinischen Auerbach. Etwa 210 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produzieren dort Suppen der Marke Knorr.
Der dritte Betrieb auf der Sparliste liegt in Sachsen, in Pratau, einem Ortsteil der Lutherstadt Wittenberg. Seit 1903 gibt es dort ein Margarinewerk. Unilever erwarb es 1930, beschäftigt dort zur Zeit 200 Menschen mit der Herstellung von Rama, Lätta, Becel, Homa Gold und Sanella.
Unilever hatte im Februar einen Übernahmeversuch des Konkurrenten Kraft Heinz abgewehrt und daraufhin das Sparprogramm aufgelegt, das unter anderem eine Kostensenkung in Höhe von sechs Milliarden Euro in drei Jahren vorsieht. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) befürchtet, dass deshalb bis zu 1000 Stellen in neun Standorten hierzulande wegfallen könnten.
Er hoffe, dass das Werk in Stavenhagen nicht geschlossen werde, sagt Hermann Soggeberg, Vorsitzender des Unilever-Konzernbetriebsrates. Aber ausgeschlossen sei ein solcher Schritt nicht, bedauerte der Arbeitnehmervertreter vor der Betriebsversammlung in Hamburg gegenüber »nd«, zu der sich Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD), die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger und DGB-Chef Reiner Hoffmann angekündigt hatten. Die Produktionsstätte in Stavenhagen sei solide, sei gut aufgestellt und müsse erhalten werden, hob Betriebsrat Soggeberg hervor, und: »Es wäre fatal, dieses Werk nicht weiter zu betreiben - da sind hoch motivierte Mitarbeiter, denen gute Produkte zu verdanken sind«.
Optimistisch sehe er der Zukunft des Werkes entgegen, meint der Präsident der Stavenhagener Stadtvertretung, Klaus Salewski (Die LINKE). Das Mutterunternehmen sei in der Pflicht gegenüber der Belegschaft, und wenn es wirklich Personalabbau gebe, dann müsse ein guter Sozialplan her. »Aber ich hoffe, dass es gar nicht dazu kommt«, betont der Kommunalpolitiker. Wichtig sei, dass das Werk an sich erhalten bleibt, selbst wenn es von Unilever in andere Hände wechsele.
Schlimm jedoch wäre es, so Salewski, wenn die Produktionsstätte völlig verschwände. Das nämlich würde sich äußerst ungünstig auf die Stadt, auf weitere Betriebe auswirken. Immerhin sei Pfanni ein Großkunde der kommunalen Wasserversorgung und des Heizkraftwerks, das von einer GmbH getragen wird.
Unabhängig von der Entwicklung bei Pfanni, unterstreicht Salewski, schaffe Stavenhagen weitere Arbeitsplätze. So zum Beispiel in einem neuen Industriegebiet - es ist dann das vierte im Bereich der Kommune -, das auf einem ehemaligen Kasernen-Areal entsteht. Interessenten für ein Ansiedeln dort gibt es bereits, unter anderem eine Baumaschinen-Handlung. Offensichtlich ist die Bezeichnung »Boomtown« noch immer kennzeichnend für Stavenhagen.
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