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Den Stickoxiden auf der Spur

Viele Studien weisen auf den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Gesundheitsgefahren hin - der genaue Mechanismus ist unklar

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit den Skandalen um manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen sind die Stickoxide in den Fokus der umweltpolitischen Diskussion geraten. Verstärkt wird das Interesse an den Sauerstoff-Stickstoffverbindungen dadurch, dass Grenzwerte für diese Emissionen mindestens seit 2010 in der Bundesrepublik regelmäßig überschritten werden. Einigkeit herrscht auch darüber, dass die gemessenen Werte zu 40 Prozent, wenn nicht sogar zu zwei Dritteln auf den Straßenverkehr zurückzuführen sind - und drei Viertel davon »verdanken« wir Dieselfahrzeugen.

Was bedeutet der hohe Stickoxidausstoß nun für die Gesundheit von Anwohnern, Radfahrern oder Fußgängern? Laut Greenpeace leiden vor allem Fahrradfahrer in den Städten unter hohen Stickoxidwerten, auch für Kinder gilt das unsichtbare, ätzende Reizgas als besonders gesundheitsgefährdend, sie entwickeln zum Beispiel häufiger Asthma.

Die zahlreichen Studien zu diesen Fragen ergeben jedoch ein gemischtes Bild. So wurde zwar bei Anwohnern stark befahrener Straßen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen. Das heißt aber noch nicht, dass man den genauen Mechanismus kennt. Vermutet wird, dass Stickstoffdioxid mit dem ausgestoßenen Feinstaub in die Lunge gerät und lokale Entzündungen hervorruft, die dann auf den Körper übergreifen. Gefragt werden müsste aber auch, ob vielleicht besonders viele gesundheitlich Vorgeschädigte an verkehrsreichen Straßen wohnen und welche Risikofaktoren zusätzlich auftreten, zum Beispiel eine dauernde Lärmbelastung.

Ähnliche Einschränkungen gibt es für die Ergebnisse einer zehnjährigen Untersuchung, in die 1,2 Millionen Bürger Roms einbezogen waren. Diese hat ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch an Lungenkrebs zu sterben, steigt, wenn sie in Gebieten mit hoher Stickoxidbelastung leben. In Paris wurde sogar ein kurzfristiger Effekt beobachtet: Hier stieg die Sterblichkeit um ein Prozent, wenn die Belastung für fünf Tage um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter zunahm.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht immerhin davon aus, dass Stickstoffdioxid »signifikante Entzündungen der Atemwege auslöst«. Obwohl auch andere Faktoren der Gesundheit schaden, raten die UN-Experten, die Grenzwerte für Stickstoffdioxid zur Sicherheit weiter abzusenken. Innerhalb der WHO wird darüber beraten, die bislang empfohlenen maximal 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel - dies entspricht auch den EU-Vorgaben - weiter abzusenken. International gehen Wissenschaftler davon aus, dass es selbst bei Einhaltung des jetzigen Grenzwerts noch schädliche Gesundheitseffekte gibt.

In einer Studie, die Greenpeace bei der Lufthygienischen Dokumentationsstelle am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel in Auftrag gab, wird ebenfalls auf zahlreiche Forschungsergebnisse verwiesen, die zumindest einen Zusammenhang zwischen Stickoxidbelastungen und Gesundheitsschäden aufzeigen. Andere Experten, darunter auch die US-Gesundheitsbehörde, bleiben aber bei einer kausalen Zuordnung vorsichtig. Ergänzend zu den epidemiologischen Berechnungen, die viele zehntausend Menschen einbeziehen, müssten experimentelle und toxikologische Studien durchgeführt werden, um direkte Effekte der Stickoxide nachzuweisen.

Diese Untersuchungen haben allerdings ihre Grenzen: Erfolgen sie an Tieren, sind sie schwer auf Menschen zu übertragen. Wird an Menschen geforscht, können aus ethischen Gründen nur gesunde und erwachsene Personen den potenziellen Giften ausgesetzt werden, und auch das natürlich nur in Maßen. Gerade solche experimentellen Studien werden aber gebraucht, um die Einzelwirkungen anderer Stoffe wie Kohlenstoffdioxid aus Feinstaubgemischen herauszufiltern. Hier fehlen offenbar für viele Gesundheitsschäden noch die genauen Nachweise.

Viel gravierender als die möglichen Belastungen durch Stickoxide selbst könnten aber die Effekte sein, die durch andere Stoffe im Feinstaub oder durch Ozon auftreten. Auf das Stoffgemisch und das giftige Gas konzentrierten sich in den vergangenen Jahren denn auch immer mehr Untersuchungen. Stickoxide sind auch für die Ozonbildung im sogenannten Sommersmog verantwortlich. Mit anderen Worten: Selbst wenn sich Stickoxide selbst als gar nicht so schädlich herausstellen sollten, so sorgen sie auf anderem Wege für Luftverschmutzungen, die Krankheiten begünstigen, fördern oder verstärken.

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