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Haben wir nicht alle irgendwie einen Migrationshintergrund?

Begriff »biodeutsch«: Von reinrassigen Kartoffeln, invasiven Arten und wo »Herman the German« eigentlich herkommt

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

Es waren die üblichen rechtspopulistischen Floskeln, die der AfD-Politiker und Greifswalder Rechtsprofessor Ralph Weber kürzlich ablieferte. Von einer Absage an »multikulturelle Umgestaltung« und »Überfremdung« schrieb er auf Facebook. Von »links-grünen Weltverbessern« und »Biodeutschen«, die sich für die »deutsche Leitkultur« einsetzen sollten.

Moment mal, biodeutsch? Was ist das denn nun schon wieder? So eine Art reinrassige Kartoffel, in guter deutscher Erde gewachsen, frei von dem Befall durch invasive Arten? Das Weißkraut unter den Völkern? Der aktuelle Euphemismus für alle, die sich nicht trauen, »Arier« zu sagen?

Die Suche nach den Ursprüngen des »Biodeutschen« führt zunächst in eine ganz andere Richtung. Der Ulmer Kabarettist Muhsin Omurca soll den Begriff in die Welt gesetzt haben. Populär wurde er wohl durch eine Rede des Grünen-Politiker Cem Özdemirs, der ihn im Jahr 2011 scherzhaft für Deutsche ohne Migrationshintergrund verwendete. Seitdem gilt »biodeutsch« auch unter Linken als Label für Deutsche, die bisher das Glück hatten, ohne Bezeichnungen wie »mit Migrationshintergrund«, »Deutsch-Türke« oder »wo kommst du denn her« durchs Leben zu laufen.

Aber gibt’s die wirklich, Deutsche ohne Migrationsgeschichte? Dem statistischen Bundesamt zufolge haben all jene einen Migrationshintergrund, die seit 1949 nach Deutschland zugewandert sind, als Ausländer in Deutschland geboren wurden oder einen zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil haben. Bei aktuellen Flüchtlingen oder türkischen Arbeitsmigranten mag diese Definition funktionieren.

Aber wieso gilt vielen von uns die im kanadischen Montreal geborene Anke Engelke als biodeutsch, nicht aber der in München geborene Sohn von zwei Baden-Württembergern Noah Becker? Was ist mit dem personifizierten Klischeebild einer »Biodeutschen« Helene Fischer? Die Schlagersängerin wurde 1984 in Sibirien geboren. Als durch und durch »biodeutsch« müsste hingegen der 1925 in Berlin geborene schwarze Schriftsteller Theodor Michael gelten. Wer sein Buch »Deutsch sein und schwarz dazu« gelesen hat, weiß allerdings, dass er dies Zeit seines Lebens ganz anders erfahren hat.

Seien wir ehrlich: Wer »biodeutsch« sagt, denkt nicht an Geburtsregistereinträge, sondern an helle Haut statt krauses Haar. Deutsch ist, wer »weiß« ist. Wer davon abweicht, muss irgendwann zugewandert sein. Ist da etwas dran? Ist Deutschsein auch eine Frage der Abstammung, der Gene? Gab es einen germanischen Urzustand, in dem zwei Meter große blonde Hünen und blauäugige Mädchen mit Zöpfen heldenhaft invasive Arten abwehrten, um die Reinheit des »biodeutschen« Gencodes zu verteidigen? Und wenn ja: Wann haben sie gelebt, diese reinrassigen deutschen Ureinwohner?

Vor rund 2000 Jahren. Zumindest dem Mythos nach. Wer nach den Ursprüngen der Ethnie »Deutsch« sucht, landet im Teutoburger Wald. Im Jahr 9 nach Christus soll Arminius alias Hermann dort die Römer vernichtend geschlagen haben. Sein Sieg wurde zum Gründungsmythos der Deutschen. Und seine blonde hünenhafte Gestalt durch Bildhauer, Maler, Dichter und Filmemacher bis heute zum Prototyp eines ethnischen Deutschen.

Das Wissenschaftsmagazin »Science« ist diesem Mythos einmal nachgegangen. Ihr ernüchterndes Urteil für alle, die dem Glauben an eine deutsche Gen-Gemeinschaft anhängen: Schon in »Herman the German« steckte mehr russischer Hirte und anatolischer Bauer als arischer Herrenmensch. Und nicht nur in ihm: Wir alle sind Migranten. Schon ein Blick um wenige tausend Jahre zurück zeige: Alle Europäer haben Wurzeln in Afrika, dem Nahen Osten oder Anatolien.

Eine Überfremdung eines »biodeutschen« Volkes wie es AfD-Politiker Ralph Weber beschwört, kann es allein deshalb schon nicht geben, weil es eine deutsche Ethnie - nennt man sie nun »arische Rasse« oder »Biodeutsche« nie gab. Nicht vor der Flüchtlingskrise. Nicht vor den »Gastarbeitern«. Nicht einmal im Teutoburger Wald. Die abschließende Antwort auf die Existenzfrage aller »Biodeutschen« lautet deshalb: Euch gibt es nicht. Diskriminierung, weil sich Menschen für »biodeutsch« halten, leider schon.

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