Verbietet Bertelsmann-Studien – jetzt!
In einer Populismus-Studie wurde der Begriff zu einer Haltung von überkritischem Wichtiggetue umgedeutet
Sie haben heute schon Herrn Dobrindt für seine Kulanz gegenüber der Autoindustrie kritisiert und vielleicht auch sinngemäß festgestellt, dass Sie mit der Demokratie in diesem Lande nur teilweise zufrieden sind? Hatten Sie unter Umständen heute auch schon ein Gespräch, in dem Sie zum Beispiel durchschimmern ließen, dass Sie mit der Europäischen Union, die sich als reine Währungs- nicht aber als Sozialunion staffelt, nichts anfangen können? Falls ja, passen Sie bloß auf. Denn mit diesen Aussagen fallen Sie für die Meinungsforscher von Infratest - die für Bertelsmann diese Studie austüftelten - schon unter das Label populistischer Anfälligkeit.
Kritik an der EU oder am politischen Führungspersonal reichte denen schon aus, um jemanden als »moderat populistisch« einzuordnen. Laut Bertelsmann-Studie muss man also schon etwaige Kritikpunkte unterlassen, um als sachlicher Zeitgenosse dem unsachlichen Populisten gegenübergesetzt zu werden.
Im Grunde klitterte die Studie den Populismusbegriff, unterlegte ihm mit neuen Attributen. Für die Studie wurde Populismus zu einer Haltung von überkritischem Wichtiggetue umgedeutet: Derjenige, der Populisten auf dem Leim geht, der kann nur mosern und meckern. Die Reduktion des Populismus auf diese Maxime kann man getrost als Neuausrichtung der Begrifflichkeit begreifen. Vormals unterstellte man dem Populisten eine ganz andere teuflische Qualität: Seine Kritik sei plumpe Vereinfachung, er reduziere durch polemische Ausfälle die Pluralität der Ereignisse. Er sei der große Simplifizierer, der durch selektive Wahrnehmung Stimmung erzeuge – seine Anhänger neigten passend hierzu zu vergröberten Sachverhalten.
Man war demnach Populist, weil man ganz versimpelnd raunte: Raus aus der EU! Zu sagen, dass man die Union kritisch sehe, dass man deren strukturelle Beschaffenheit als zentralen Kern der kontinentalen Europaverdrossenheit erachtete, reichte bei weitem nicht aus, um als Strampelnder im Kielwasser des Populismus bezeichnet zu werden. Die Vereinfachung der ganzen Chose war das wesentliche Kriterium. Die Studie vereinfacht aber selbst, lässt diesen Umstand verschwinden und macht die Kritik selbst zum Indikator.
Das hat sie auch bitter nötig, wenn sie nicht mit den Zuständen in der Republik kollidieren will. Denn durch Vereinfachung politisch zu punkten, diesen klassisch populistischen Winkelzug haben in den letzten Jahrzehnten gar nicht so wenige angewandt. Ziehen wir doch nur mal die Reform des Sozialwesens und des Arbeitsmarktes als Beispiel heran. Mit Florida-Rolf rechtfertigte man Revisionen des Sozialgesetzbuches, mit Debatten über arbeitslose Faullenzer erarbeitete man neue Sanktionsmöglichkeiten. Moderate Steuerpolitik für Spitzenverdiener und Unternehmen wird mit Phrasen wie »Leistung muss sich lohnen« flankiert.
Das Herunterbrechen auf das Einfache, wir fanden und wir finden es noch immer auch in Reihen derer, die offiziell nicht als Populisten gelten. Die etablierten Parteien des Neoliberalismus verfolgen seit Jahren einen dezidiert populistischen Kurs. Mit einfachen Losungen und Parolen, durch Skizzierung einer recht eindimensionalen Sichtweise auf die Abläufe in der Ökonomie, sichern sie sich die Gefolgsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. Zwar geschah das alles nicht zum Vorteil für den Populus, für das Volk – die Methode einfacher und einseitiger Patentrezepte zur Erlangung von Einverständnis, die hat man jedoch rege genutzt.
Es lag also schon nahe, dass die Meinungsforscher das zentrale Label des Populisten mal weniger betonen, um mit der Wirklichkeit im Lande nicht zu kollidieren. Dem Vereinfacher müsste man ja dann die Sachlichkeit der Komplexität gegenüberstellen. Nur wer sollte diese Rolle zugeteilt bekommen? Der Populist hat in unserer Zeit keinen nennenswerten Gegenspieler, der sich von ihm abhebt. Das haben vermutlich auch die Studienmacher begriffen, wollten aber dennoch wie bestellt liefern. Tja, dann muss man eben die Begrifflichkeit modifizieren. Vermutlich hat man deswegen den Kritiker an Politik und Europa popularisiert. So war ein populistisches Alleinstellungsmerkmal gefunden.
Natürlich könnte es auch sein, dass dieser Erklärungsversuch auch bloß auf eine Vereinfachung gründet und deshalb lediglich als populistischer Zwischenruf zu werten ist. Dann ist es jetzt auch schon egal, dann kann ich ja populistisch ausrufen: Verbietet Bertelsmann-Studien – jetzt!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.