»Von Erbpacht ist abzuraten«

Interessengemeinschaften aus drei Ländern fordern Änderung der gesetzlichen Vorschriften

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.
»Von Erbpacht ist abzuraten«

Durchaus schick, aber noch lange nicht protzig, präsentiert sich der Wohnpark am Kirchhof in Ahrensfelde (Barnim). 50 Eigentumswohnungen, jeweils 60 bis 80 Quadratmeter groß, enthält der Komplex aus mehreren mehrgeschossigen Gebäuden. Hier leben weder die Armen noch die Reichen. Der Begriff untere Mittelschicht beschreibt die soziale Zusammensetzung ziemlich präzise, bestätigt Helmut Pöltelt, der dort ein Quartier besitzt, das er mit seiner Frau selbst bewohnt. Das Grundstück gehört den verschiedenen Wohnungseigentümern allerdings nicht. Damit sind sie nicht gesegnet. Sie haben das Land lediglich für 99 Jahre in Erbpacht von der evangelischen Kirche bekommen und müssen einen jährlichen Pachtzins entrichten. Doch der Pachtzins steigt und steigt. Möglichkeiten, sich rechtlich dagegen zur Wehr zu setzen, gebe es nicht, bedauert Pöltelt.

Er und andere ähnlich Betroffene aus Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen bemühen sich immer wieder um eine politische Lösung. Im laufenden Bundestagswahlkampf haben sie einen neuen Anlauf unternommen und alle im Bundestag vertretenen Parteien angeschrieben. Außerdem haben sie sich an die FDP und an die AfD gewandt, die beide nach der Wahl im September wahrscheinlich im Parlament sitzen werden. Die Forderung der Pächter: eine Reform des Erbbaurechts. Gezeichnet ist das Schreiben von Interessengemeinschaften aus Ahrensfelde, Braunschweig, Wolfsburg, Göttingen, Pulheim, Königslutter und Neustadt am Rübenberge und aus der Umgebung dieser Städte und Gemeinden sowie aus dem Landkreis Giffhorn. Unterstützt wird der Vorstoß vom Verband Wohneigentum.

Insgesamt 120 Haus- und Wohnungseigentümer in Ahrensfelde und Umgebung sind Erbpächter. 50 von ihnen engagieren sich in der dortigen, seit seit 2011 aktiven Interessengemeinschaft Erbbaurecht.

Wo liegt ihr Problem? Pöltelt rechnet es an einem Beispiel vor: Nehmen wir eine Fläche von 320 Quadratmetern. Im Jahr 1997 als Bauland erschlossen, ist das Gelände 102,25 Euro je Quadratmeter wert. 4,5 Prozent dieser Summe sind als Ausgangszins festgelegt. Doch die evangelische Kirche erhöht den Pachtzins seither alle drei Jahre. Mal um 1,3 Prozent, mal um 5,7 Prozent, mal um einen Wert dazwischen. Statt 1470,27 Euro im Jahr 1997 sind für das 320 Quadratmeter große Grundstück im Jahr 2011 bereits 1810,48 Euro zu entrichten. Zum 1. Januar 2017 erfolgte dann sogar eine satte Erhöhung um 8,47 Prozent. Wenn das so weitergeht, könnte sich der jährliche Pachtzins bis 2050 auf einen stolzen Betrag von 3208,52 Euro heraufgeschraubt haben - und das wäre noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Dass es so kommen könnte , ist dem heute 72-jährigen Pöltelt nach eigenem Bekunden nicht klar gewesen, als er Ende der 1990er Jahre den Erbpachtvertrag unterschrieb. Diese Vertrauensseligkeit gegenüber der evangelischen Kirche muss er sich ankreiden. Allerdings ist Pöltelt der Ansicht, dass die Politik eigentlich eingreifen müsste, um einen leider legalen Missbrauch des Erbpachtrechts zu stoppen, der nicht beabsichtigt gewesen sei, als das Erbpachtgesetz 1919 in der Weimarer Republik erlassen wurde.

»Damals war das Erbbaurecht eine soziale Errungenschaft, nachdem im Kaiserreich nur Mensch war, wer Geld hatte«, ist Pöltelt überzeugt. Nun konnte sich auch ein Eigenheim leisten, wer nicht wohlhabend war. »Das war seinerzeit revolutionär.« Die schöne Idee sei aber inzwischen »pervertiert«, aus der Erbpacht sei ein Geschäftsmodell geworden, beklagt Pöltelt. »Erbbaurechte werden heute in Fonds gehandelt.« Es gehe dabei um fette Rendite. Helmut Pöltelt wünscht sich eine Rückkehr zur ursprünglichen Philosophie.

Einstmals sei es darum gegangen, dass sich der Häuslebauer nicht gar zu sehr verschuldet, zu den Baukosten nicht auch noch die Kosten für den Erwerb des Grundstücks tragen muss. Stattdessen konnte er als Erbpächter das Bauland quasi mieten. Auch heute könnte dieses Modell angesichts der Wohnungsnot beispielsweise in Berlin und im Umland der Hauptstadt interessant sein, findet Pöltelt.

Man bedenke: Die jährliche Teuerung beim Bau von Wohnhäusern stieg zuletzt in Berlin um 3,6 Prozent, in Brandenburg um 3,7 Prozent. Wenn in Ahrensfelde der Quadratmeter Bauland im Moment zwischen 120 und 200 Euro koste, rechnet Pöltelt vor, so würde der Erbpächter an die 15 000 Euro für den Grundstückserwerb sparen. Bei einem vernünftig ausgehandelten Vertrag würde er zwar am Ende der 99 Jahre an Pacht mehr bezahlt haben als den Kaufpreis. Das sei aber in Ordnung, das der Verpächter etwas verdiene, meint Pöltelt. Nur dürften die Pachtzinsen nicht völlig aus dem Ruder laufen, so dass der Pächter bereits nach wenigen Jahren ein Mehrfaches dessen bezahlt hat, was das Grundstück insgesamt wert ist.

Bei derzeitiger Gesetzeslage müsse jungen Familien von der Erbpacht leider abgeraten werden, bedauert die Interessengemeinschaft der Erbbauberechtigten. Ausnahmen von dieser Regel gebe es allerdings. So biete die Gemeinde Ahrensfelde eigene Grundstücke in Erbpacht zu einem niedrigen und unveränderlichen Zins an. Doch weit verbreitet und derzeit nicht zu stoppen sei die Anpassung, sprich die Erhöhung des Zinses alle drei Jahre.

Wer zwei Jahre lang seinen Zins nicht entrichten könne, verliere alles, warnt Pöltelt. Ein Hauseigentümer, dem auch das dazugehörige Grundstück gehöre, könne bei finanziellen Schwierigkeiten verkaufen und bekomme dann wenigstens Geld heraus. Ein Erbbaupächter müsse Haus und Hof ohne diese Option räumen. In Niedersachsen habe es bereits einen Fall gegeben, wo zwei alte Damen den Pachtzins wirklich nicht mehr bezahlen konnten.

Die alle drei Jahre mögliche Anpassung des Zinses sei laut Gesetz an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt, erläutert der agile Senior, der für die Freien Wähler in der Ahrensfelder Gemeindevertretung sitzt. Doch es sei nicht genau definiert, was damit gemeint sein könnte. Genommen werde der Preisindex, anstatt die Einkommensentwicklung zu beachten. Während die Einkommen im Laufe der Jahrzehnte immer wieder stagnieren und während sich die Nettovermögen privater Haushalte in den Jahren 2003 bis 2013 verringert haben, sei der Preisindex lediglich in den Jahren 1952 und 1953 gefallen. Seither steige er stetig, umreißt Pöltelt das Problem. Auch die Zinsbelastung der Erbpächter nehme immer weiter zu.

Fünf Prozent der in Deutschland fürs Wohnen genutzten Flächen sind nach Angaben der Interessengemeinschaften in Erbpacht vergeben. Betroffen seien rund vier Millionen Bundesbürger, verteilt auf 160 000 Erbbaupachtverträge. Die Interessengemeinschaften schlagen eine Reihe von Gesetzesänderungen vor. So sollte eventuell ein grundsätzlich über die Jahre gleichbleibender Zins vorgeschrieben werden. Auch sollte die Grunderwerbssteuer für die Pächter wegfallen, da sie den Grund und Boden ja tatsächlich nicht erwerben, sondern nur pachten.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat den Interessengemeinschaften auf ihre Fragen geantwortet, dass die Union prüfen wolle, was getan werden muss, damit mehr junge Familien ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung erwerben können. In den Blick genommen seien ein Baukindergeld, steuerliche Förderung oder staatliche Bürgschaften. Tauber versprach, auch eine Reform des Erbbaurechts zu erwägen. Helmut Pöltelt ist die Antwort zu unverbindlich, da er von früheren Gelegenheiten weiß, wie sich die CDU herauswindet.

Ablehnend reagierte die FDP. Sie will keine Verschiebung der steuerlichen Last und des Risikos auf die Verpächter. Sie möchte keinen gleichbleibenden Zins, denn das Geschäft solle für den Verpächter attraktiv bleiben. Zwar äußert die FDP ein gewisses Verständnis für die Erbpächter. »Nichtsdestotrotz möchten wir darauf hinweisen, dass man grundsätzlich von einem signifikanten Eingriff in die Vertragsfreiheit absehen sollte.« Steuern abschaffen, da hilft die FDP gern. Sie möchte einen großzügigen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer. Bei Kaufsummen unterhalb von 500 000 Euro soll diese Steuer nach den Vorstellungen der Liberalen generell entfallen. Damit würden die Länder aber eine wichtigen Einnahmequelle verlieren.

Die Bundestagskandidatin Kerstin Kühn (LINKE) hat sich mit Pöltelt getroffen. »Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir im Privatrecht der Vertragsfreiheit unterliegen, demzufolge obliegt es jedem zukünftigen Erbbaupächter selbst, sich über die rechtlichen Folgen eines solchen Vertragsabschlusses kundig zu machen«, gesteht die Rechtsanwältin. »Dennoch sollte es zumindest Überlegungen für den Schutz der Erbbaupächter per Gesetz geben.« Die Pächter sollten vor der Unterschrift beim Notar unbedingt Gelegenheit erhalten, sich mit dem Vertragsinhalt auseinanderzusetzen. Die Idee, das Steigen des Zinses zu begrenzen, findet Kühn richtig. Der Haken liege im Detail. Man müsse sich »sehr präzise mit allen Gegebenheiten und Ansichten auseinandersetzen«. Vorbehaltlos anschließen kann sich die Kandidatin dem Vorschlag, den Erbpächtern die Grunderwerbssteuer zu erlassen.

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