»Nach dem kräftigen ersten Halbjahr …
Kathrin Gerlof verleiht der segensreichen Studientätigkeit der Bertelsmann Stiftung ein glyphosatverseuchtes Bienchen
… wächst die deutsche Wirtschaft weiter überdurchschnittlich.« Das ist die gute Nachricht. Sie wurde uns von DIW-Konjunkturchef (die Frage ist, ob das Wirtschaftsinstitut auch einen Rezessionschef hat) Ferdinand Fichter verkündet. Wenn Namen auf Alliterationen gründen, glaubt man ja gern, es handle sich um ein Pseudonym. Bei FF ist das nicht so. Und weil wir hierzulande dazu neigen, immer ein Haar in der Suppe zu finden, versichert FF auch gleich noch, dass eine Überhitzung nicht drohe. Das sehen Klimaforscher nicht so, aber das ist ja ein anderes Thema. Also, wenn jemand in den kommenden Monaten dem Fährmann seine letzte Münze geben muss, stirbt er oder sie in der Gewissheit, mitten im Aufschwung gehen zu müssen. Nicht schön. Da ist er wieder, der Grundpessimismus, den wir so verinnerlicht haben.
Auch die Bertelsmann Stiftung nährt diesen Pessimismus mit ihrer neuen Studie »Die Stunde der Populisten?« Immerhin, ein Fragezeichen. Und bevor die geneigte Leserin jetzt in die falsche Richtung läuft: Nein, es geht in der Studie nicht um Politikerinnen und Politiker. Stattdessen sind der Wähler und der Nichtwähler (ja, im Titel der Studie tauchen die Frauen nicht auf, das ist bei dem Thema schon mal schön) ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
Bevor aufgelöst wird, wie populistisch die Deutschen sind, noch kurz was zur Stiftung. Die ist ja allbekannt, große Polemik braucht es nicht. Die NachDenkSeiten sammelten anno 2006 Nachrichten und Informationen unter der Überschrift »Krake Bertelsmann«. Klingt ein bisschen populistisch (wir können ja Kraken nicht leiden, aber BayerMonsanto und Autolobby und Forschende Pharmaunternehmen finden wir an sich gut), ist aber wahr. Bertelsmann gehört zu den ganz großen Einflüsterern und sitzt sozusagen bei den Gesetzgebern am Tisch. Vielleicht ist es sogar andersrum. Die sogenannten Hartz-IV-Reformen zum Beispiel basierten auf einer Vorlage der Stiftung. Das soll jetzt nicht der Versuch sein, Peter Hartz, das arme Würstchen, aus der Verantwortung zu nehmen, er hätte ja seinen Namen nicht für Bertelsmann hergeben müssen. Aber es relativiert einiges und schrumpft den Mann auf wahre Größe.
Wenn in Deutschland Reformen stattfinden, also zumindest so bezeichnete Vorgänge der Verschlechterung grundlegender und lebenswichtiger Bereiche wie Gesundheit, Bildung und Arbeit, dann mischt die Bertelsmann Stiftung mit. Der Kommunikationsmanager der Stiftung sagt aber zu Recht, man unterbreite nur Vorschläge. »Darauf, ob sich die Politiker unseren Vorschlägen anschließen, haben wir keinerlei Einfluss.« Das ist so schön gelogen, dafür gibt es ein glyphosatverseuchtes Bienchen.
Von der Gründung im Jahr 1977 bis 2015 investierte die Stiftung 1,2 Milliarden Euro in verschiedene Forschungsprogramme zur Unterstützung von Politik und Gesellschaft. Vor allem die permanente »Reform« des Bildungswesens hin zu einer Veranstaltung der Konditionierung marktkonformer Konsumenten und -innen hat davon profitiert.
Zurück zum Populismus der Deutschen (nicht der Politik, bitte nicht vergessen): Beruhigend sei, dass populistische Einstellungen in Deutschland zwar weit verbreitet sind, aber vergleichsweise moderat bleiben, wie es im Vorwort heißt. Also keine radikale Systemkritik. Dass die Stiftung radikale Systemkritik im Umkehrschluss wohl für Populismus hält, kann hier nur konstatiert werden. Aber jetzt der Hammer: Die Partei mit den unpopulistischsten Wählern ist die CDU, bei der SPD ist das so fifty-fifty, auch bei der LINKEN. Die AfD punktet bei der populistischen Wählerschaft großartig. Letzteres erwartbar, ersteres eine kleine Sensation. Wenn die Wähler der CDU nicht populistisch sind, meinen sie es also ernst mit ihrer Entscheidung und sind im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Gute Nacht!
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