Die polizeiliche Datensammelwut betrifft nicht nur Straftäter

Für einen Eintrag in die BKA-Datei für linke Kriminalität reicht oft eine Demo-Anmeldung. So bringt eine Datenauskunft häufig Überraschungen

  • Josefine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor 40 Jahren soll Justus L. (Name von der Redaktion geändert) ein Comic-Heft geklaut haben. Da war er gerade acht Jahre. Als Jugendlicher soll er sich an Brandstiftung beteiligt, viele Jahre später in einer Apotheke und einem Kaufhaus etwas gestohlen haben. So jedenfalls steht es in seiner Akte beim Berliner Landeskriminalamt (LKA). Insgesamt 32 Einträge finden sich dort, darunter Beleidigung, Sachbeschädigung und Beförderungserschleichung. Viele dieser Einträge hält Justus L. für falsch. Das Bundeskriminalamt (BKA) führt ihn zudem als BTM-Konsument. »Dabei habe ich seit 20 Jahren keinen Joint geraucht«, beteuert er.

Sein Fall ist einer von vielen, der die Absurdität der Datensammelwut - zur vermeintlichen Gefahrenabwehr - von Polizeibehörden in Deutschland offenbart. Beim LKA, BKA und Interpol hatte Justus L. Auskunft über gespeicherte Daten verlangt. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht forderte er dann - unter anderem per Eilantrag - die Richtigstellung und Löschung der Einträge.

Auch ein »Verstoß gegen das Versammlungsgesetz« ist unter seinem Namen gespeichert. Justus erinnert sich, dass er bei der »Freiheit statt Angst«-Demonstration 2009 wegen angeblicher Vermummung festgenommen wurde und diese Vermummung später bei der Polizei für ein Foto nachstellen musste.

Zwar ist Justus, wie er durch seine Abfrage erfahren hat, beim BKA nicht in einer Datei für linksmotivierte Kriminalität erfasst, dennoch können die zahlreichen Einträge in der Berliner Datenbank POLIKS (Polizeiliches Landessystem) und beim BKA enorme Nachteile für ihn bedeuten. Etwa wenn bei normalen Fahrzeugkontrollen seine Daten abgefragt werden, bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst oder bei der Teilnahme an Demonstrationen. So begründete Justus auch seinen Eilantrag vor Gericht, den er vor dem G20-Gipfel in Hamburg gestellt hatte, mit der Sorge, bei Demonstrationen von der Polizei als »gewaltbereiter autonomer Kiffer« ohne weiteren Grund in Gewahrsam genommen zu werden.

Der Strafrechtler Ulrich Kerner rät jedem Bürger, einen Antrag auf Datenauskunft zu stellen. Bei einem Vortrag beim Chaos Computer Club erklärte er, dass es nicht selten vorkomme, dass Polizeibehörden - wie im Fall von Justus L. - Daten ansammeln, die entweder sehr alt sind, nicht korrekt oder für deren Speicherung es keine Rechtsgrundlage gibt.

In den Polizeigesetzen heißt es recht schwammig, dass personenbezogene Daten erhoben und gespeichert werden dürfen, wenn das zur Verhinderung von Straftaten »erforderlich« ist. Eigentlich müssen die Betroffenen aber darüber informiert werden. Und nach spätestens zehn Jahren sollten die Einträge gelöscht werden - sofern in dieser Zeit kein neuer Verdacht hinzukommt, der die weitere Speicherung rechtfertigt.

Von den Polizeibehörden werden diese Regelungen in der Praxis ziemlich großzügig interpretiert. Auf den Antrag von Justus L. antwortete beispielsweise der Berliner Polizeipräsident, dass allein die Vielzahl von Einträgen - auch wenn zwischen den Vorfällen teilweise fast zehn Jahre liegen - Anhaltspunkt dafür sei, dass Justus L. erneut als Tatverdächtiger in Erscheinung treten werde. Und obwohl die Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt wurden, hält der Polizeipräsident die weitere Speicherung aufgrund eines »Resttatverdachts« für angemessen.

In manchen Fällen ist nicht einmal ein Ermittlungsverfahren nötig, um in dem unüberschaubaren Netz polizeilicher Datenbanken zu landen. Dies zeigte der Prüfbericht des Bundesdatenschutzbeauftragen zur BKA-Datei »Politisch motivierte Kriminalität - links« von 2012. Dort fanden sich zahlreiche Personen, die Demonstrationen angemeldet, aber niemals eine Straftat begangen hatten. In der Folge löschte das BKA zwar eine Vielzahl von Einträgen, immer wieder beklagen Betroffene jedoch, dass ihnen vom BKA eine Datenabfrage verwehrt wird.

Trotz solcher Praktiken drehen sich die politischen Debatten angesichts von Terrorangst oder Randale zum G20-Gipfel kaum um die Stärkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Stattdessen zielen sie auf eine Ausweitung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Innenpolitiker von CDU und SPD forderten nach Hamburg etwa eine europäische Extremistendatei - obwohl vor dem Gipfel bereits reger Datenaustausch stattfand.

Und mit Blick auf das im April reformierte BKA-Gesetz kritisiert die Bundesdatenschutzbeauftragte An-drea Voßhoff, dass zukünftig alle Daten - vom bloßen Verdacht bis zur Verurteilung - in einer gemeinsamen Datenbank miteinander verknüpft werden können. Anders als bisher wird für die Daten dann kein spezifischer Verwendungszweck mehr festgelegt. Damit sei die Zweckbindung, ein Grundpfeiler des deutschen Datenschutzrechts, gefährdet. Und davon, so Voßhoff, »sind nicht nur verurteilte Straftäter betroffen, sondern alle gespeicherten Verdächtigen, Kontakt- und Begleitpersonen, Zeugen oder gar die Opfer von Straftaten«.

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