Rote Sterne über dem Pentagon

Spektakuläre Open-Sky-Operation - Deutschland beschafft wieder Überwachungsflugzeug

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Mittwochnachmittag überflog eine dreistrahlige Maschine die US-Hauptstadt. Man sah sie über dem Pentagon, über den Gebäuden des Kongresses. Sie donnerte über das Weiße Haus. Später registrierte man das Flugzeug über Bedminster, wo Präsident Donald Trump gerade Urlaub macht. Auch über dem dortigen Golf Club im US-Bundesstaat Virginia, über der Präsidentenranch Camp David, dem Regierungsbunker in Mount Weather und dem US-Luftwaffenstützpunkt Andrews, wo die US-Präsidentenflugzeuge stationiert sind, kreuzte der Jet auf.

Normalerweise wäre höchste Alarmstufe ausgerufen worden, Air Force-Abfangjäger wären aufgestiegen, hätten das Flugzeug abgedrängt und zur Landung gezwungen - in einem Stück oder in Einzelteilen. Zumal das Flugzeug, das die gesperrten Lufträume durchquerte, dem russischen Militär gehört. Doch nichts geschah.

Der Flug der TU-154M war höchst legal und angemeldet. Als Teil des Open-Sky-Vertrages, der 1992 in Helsinki von 27 Mitgliedstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterzeichnet worden war. Man wollte damals durch gegenseitige Beobachtungsflüge Transparenz herstellen. Um Vertrauen zu schaffen. Für die Maschinen und die installierte Überwachungstechnik gelten Standards. Und bei Flügen über fremden Territorien sind immer Offiziere des gastgebenden Landes an Bord.

Der Gedanke war nicht neu. Bereits 1955 hatte der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower ein solches Programm vorgeschlagen. Doch erst als Mitte der 80er Jahre langsam Tauwetter zwischen den militärischen Blöcken einsetzte, kam der Vorschlag wieder auf den Tisch.

Damals hatten beide deutsche Staaten ein großes Interesse an solchen Open-Sky-Flügen. Das änderte sich, nachdem die beiden Deutschlands zu einem verschmolzen. Damals betrieb die Bundesrepublik eine Maschine, die der jetzt in Washington beobachteten Tupolew baugleich war. Sie stammte aus dem Bestand der NVA-Regierungsfliegerstaffel. Doch beim Transport der deutschen Teilnehmer einer Regatta im südafrikanischen Kapstadt stieß die Tupolew mit einer US-Transportmaschine zusammen. 24 Menschen an Bord der TU und neun Besatzungsmitglieder der Starlifter-Maschine kamen dabei um.

Es gab zwar noch eine zweite TU-154M im Bestand der Bundeswehr, die man hätte umrüsten können, doch man entschied sich dafür, sie nach Bulgarien zu verkaufen. Open Sky war angesichts der grassierenden Entspannungspolitik in Europa plötzlich nicht mehr so wichtig. Im Jahr des Absturzes wurde die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet, alle glaubten, dass sie ohne solche legalen Spionagemöglichkeiten auskommen. Das Auswärtige Amt, das die Operationen politisch verantwortet und das Verteidigungsministerium, das die technisch-personelle Seite realisieren soll, konnten sich nicht einigen. Knappe Kassen waren ein weiterer Grund, sich nicht erneut um eine Open-Sky-Maschine zu bemühen.

Das rächte sich. Denn gerade in Zeiten neuer Zuspitzung der politischen und militärischen Verhältnisse in Europa wäre Open Sky wieder ein Instrument der Zusammenarbeit. Man behalf sich, indem man die Technik von Verbündeten mit nutzte. Doch auch deren Ausrüstungen sind verschlissen. So beschloss die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres die Beschaffung eines Airbus A319CJ plus Überwachungstechnik. 60 Millionen Euro gab das Parlament frei. Das reichte für den Kauf eines gebrauchten Jets, der dem Volkswagen-Konzern gehörte. Ab 2019 soll der Airbus eingesetzt werden.

Zur Zeit sind 34 Staaten Mitglieder des »Open-Sky-Clubs«, doch nur zehn Staaten betreiben eigene Überwachungsflugzeuge. Aktuell interessant ist vor allem die Mitgliedschaft von Frontstaaten wie die Ukraine und die Türkei.

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