Die Menschenleserin

Katrin Streich war Polizeipsychologin. Heute arbeitet sie für ein Institut, das für Kunden einschätzt, ob ein Mitarbeiter gefährlich werden kann.

  • Christin Odoj
  • Lesedauer: ca. 7.5 Min.

Als sie mit den Knien bis an den Rand der Hausfassade gerutscht ist, zwei Meter unter ihr das 18-jährige Mädchen, das auf einem dicken Kabel steht, das zwischen die zwei Plattenbauten in der Dresdner Innenstadt gespannt ist, denkt sie: »Wenn das schief geht, höre ich sofort wieder auf.« Es ist Katrin Streichs zweite Woche als Polizeipsychologin beim Landeskriminalamt Sachsen und wohl ihr Schicksalstag, genauso wie der des jungen Mädchens, das unter keinen Umständen wieder zurück in die Psychiatrie will, aus der man sie gerade entlassen hat. Nun hockt Streich da, abgesichert von der Dresdner Höhenrettung, knapp einen Meter vom Gesicht des Mädchens entfernt, das springen will. Auf den umliegenden Balkonen sammeln sich die Nachbarn, machen das erste Bier auf und glotzen. Auf der Fahrt hierher war Katrin Streich kurz nervös, ihr erster Einsatz, Fahrt mit Blaulicht. Die Feuerwehr und der Notarzt hatten schon vergeblich versucht, mit dem Mäd...


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